Mannheim. In einem neuen Standort-Ranking liegt unser Land nur auf Platz 18 unter 21 Industriestaaten. So grottenschlecht bewertet das Leibniz-Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) die Rahmenbedingungen für große Familienunternehmen – also für das Rückgrat unserer Wirtschaft!

„Der Industriestandort Deutschland hat dramatisch an Qualität verloren.”

Professor Rainer Kirchdörfer, Stiftung Familienunternehmen

Vor allem für Mittelständler wird es immer schwieriger, hierzulande zu international wettbewerbsfähigen Preisen zu produzieren. Einzig bei der Finanzierung ist Deutschland noch die Nummer eins – weil der Staat und die Unternehmen vergleichsweise solide wirtschaften. Schwer im Argen liegen die Dinge dagegen bei anderen wichtigen Punkten:

  • Standortfaktor Energie. Dass wir Weltmeister bei den Energiepreisen sind, ist bekannt. Für Familienunternehmen sind die Energiekosten seit dem Preisschock vom letzten Jahr teils sogar zur existenziellen Herausforderung geworden.
  • Standortfaktor Steuern. Während Firmen in anderen Ländern wie etwa Belgien oder Schweden von Reformen profitieren, verharrt die Bundesrepublik als Höchststeuerland auf dem vorletzten Platz in diesem Punkt. Professor Friedrich Heinemann, Leiter des Forschungsbereichs Unternehmensbesteuerung und öffentliche Finanzwirtschaft am ZEW, mahnt: „Wir brauchen wieder ein Bewusstsein für den Steuerwettbewerb und einen Umbau unseres Steuersystems allgemein hin zu mehr Leistungsanreizen.“
  • Standortfaktor Arbeit. Zwar ist die deutsche Industrie hochproduktiv, aber Heinemann sieht sie inzwischen an einem Punkt angelangt, „an dem die Produktivität die hohen Lohnkosten kaum mehr ausgleichen kann“. Außerdem schwächelt das Bildungsniveau – und die Fachkräftelücke wächst (über diesen wichtigen Punkt berichten wir ausführlich im nebenstehenden aktiv-Artikel).
  • Standortfaktor Regulierung. In diesem Punkt sind wir in den letzten zwei Jahren um ganze fünf Ranking-Plätze abgerutscht! „Allen voran unser Arbeitsministerium produziert laufend neue Regulierungen“, kritisiert Heinemann, „zum Beispiel die Arbeitszeiterfassung und -dokumentation oder immer weitere Einschränkungen der Zeitarbeit.“ Roland Pichler von der Stiftung Familienunternehmen und Politik befürchtet, dass auch mit weiteren EU-Regelungen (die in Deutschland gern besonders streng umgesetzt werden) „riesige Wellen an Bürokratie auf die Betriebe zukommen. Diese Bürokratie hilft nicht, sondern bringt nur weitere teure Belastungen. Seit Jahren mahnen die Firmen den Reformbedarf an – inzwischen sind sie ziemlich frustriert.“

Der politische Fokus liegt schon zu lange auf Umverteilung

Warum aber reagiert die Politik nicht auf solche Mahnungen, obwohl doch der Industriestandort Deutschland seit Beginn der ZEW-Analysen 2006 immer weiter abgesackt ist? Pichler meint: „Zwischen 2010 und 2020 ist es wirtschaftlich sehr gut gelaufen. Daher lag der politische Fokus zu lange auf der Umverteilung des Erwirtschafteten.“ Inzwischen müssten sich Unternehmen daher gut überlegen, wo sie investieren: hier – oder in Staaten mit attraktiveren Standortbedingungen.

Der Länderindex der Stiftung Familienunternehmen

Seit 2006 werden wichtige Industrieländer immer wieder unter die Lupe genommen: Alle zwei Jahre bewertet das ZEW Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung die Standortbedingungen für große Familienunternehmen.

Dabei geht es um diverse Faktoren in den sechs Bereichen Arbeit, Energie, Finanzierung, Infrastruktur, Regulierung und Steuern. Verglichen werden 16 EU-Länder, Großbritannien, die Schweiz, die USA, Kanada und Japan.

Sämtliche Ergebnisse stehen kostenlos im Web bereit: familienunternehmen.de/deutschland-ist-der-große-verlierer-im-standortwettbewerb.

Ursula Wirtz
aktiv-Redakteurin

Als Mitglied der Stuttgarter aktiv-Redaktion berichtet Ursula Wirtz aus den Metall- und Elektrounternehmen in Baden-Württemberg sowie über Konjunktur- und Ratgeberthemen. Sie studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften. Später stieg sie bei einem Fachzeitschriftenverlag für Haustechnik und Metall am Bau in den Journalismus ein. Neben dem Wirtschaftswachstum beobachtet sie am liebsten das Pflanzenwachstum in ihrem Garten.

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