Stuttgart. Während in öffentlicher Verwaltung und in Schulen während der Corona-Krise zum Teil nichts mehr ging, konnten in vielen Unternehmen die Produktionsabläufe und Geschäfte weiterlaufen. Denn in der Industrie werden die Möglichkeiten der Digitalisierung schon längst genutzt und perfektioniert.

Bei 73 Prozent der deutschen Industrieunternehmen werden im Zuge von Industrie 4.0 nicht nur einzelne Abläufe oder Prozesse verändert, sondern ganze Geschäftsmodelle – das ergab eine Umfrage, die der Digitalverband Bitkom von Februar bis April dieses Jahres durchführte. Und: Mehr als jedes zweite Unternehmen entwickelt neue Produkte und Dienstleistungen oder plant dies.

aktiv hat sich umgeschaut, was die Unternehmen der Metall- und Elektro-Industrie Baden-Württembergs schon alles virtuell lösen und anbieten.

Training ohne Risiko

Sägen-Simulator: Das Unternehmen Stihl aus Waiblingen wurde für sein ausgeklügeltes virtuelles Schulungskonzept mehrfach ausgezeichnet.

Der Mann mit der Motorsäge setzt die Virtual-Reality-Brille auf. Und schon befindet er sich mitten auf einer Waldlichtung – zumindest in seiner Wahrnehmung! Jetzt kann das Training beginnen. Das Beste an der virtuellen Waldarbeit: Sie ist völlig ungefährlich und vermittelt trotzdem wichtige Grundlagen.

Der Hersteller Stihl aus Waiblingen setzt schon seit Langem auf digitale Trainingsangebote – wie zum Beispiel den Sägen-Simulator. Den gibt es auch speziell für Einsatzkräfte, die mit Rettungssägen Menschen etwa aus brennenden Häusern befreien: Feuerwehren üben damit in gefahrloser Umgebung. Zum Beispiel, wie sich ein brennendes Rolltor zersägen lässt. Dafür bekam Stihl Auszeichnungen, darunter den „eLearning Award 2020“ eines Fachjournals. Denn das virtuelle Schulungskonzept hat noch weitere Vorteile: Es spart Kosten und Zeit, und das Säge-Training kann bei jedem Wetter stattfinden.

Marketing und Kundenpflege in sozialen Netzwerken

„Social Cooking“: Hausgeräte-Hersteller Neff lädt regelmäßig zum gemeinsamen Kochen mit den Influencerinnen Felicitas Riederle (links) und Alexandra Stech.

Auf das Thema „Social Distancing“ hat der Küchengerätehersteller Neff aus Bretten eine Antwort: „Social Cooking!“ Das Unternehmen hat mit der Pandemie einfach seine Aktivitäten in sozialen Netzwerken verstärkt und angepasst. Regelmäßig laden zwei Influencerinnen zum gemeinsamen Kochen auf Youtube, Instagram und Facebook ein – Gericht und Zutaten werden zuvor bekannt gegeben, damit jeder Interessierte gleich mitkochen kann. Marketingleiterin Elena Polontchouk sagt: „Der Zuspruch der Fans bestärkt uns in unseren digitalen Aktivitäten und zeigt, dass die sozialen Medien mehr denn je ein wichtiger Baustein für uns sind.“

Messe ohne Körperkontakt: Alles digital

Virtuelle Messe: Viele Unternehmen haben Veranstaltungen ins Internet verlegt, wie hier Balluff. Das wird auch nach Corona interessant bleiben.

Der Sensor-Spezialist Balluff aus Neuhausen machte aus der Corona-Not eine Tugend und veranstaltete jüngst ein virtuelles Live-Event. Da wurden etwa neue Lösungen für die industrielle Automatisierung und, sehr passend, für die digitale Transformation vorgestellt. Gesendet wurde aus einem eigens eingerichteten Studio. Mehr als 3.000 Menschen hatten sich angemeldet – zu Höchstzeiten verfolgten über 500 gleichzeitig die Vorträge! Geschäftsführer Florian Hermle sagt: „Die positive Resonanz unserer Kunden bestärkt uns auf unserem digitalen Weg.“

Und so war’s beim Live-Event: Jeder Gast wird persönlich begrüßt. In der Ausstellung informieren Videos über die Produkte. Fragen beantworten die Mitarbeiter an der Info-Theke. Nebenan laufen neun Stunden lang live Vorträge. Wer eine Pause braucht, zieht sich in den Meetingraum zurück und schmökert in Broschüren. Oder schaut auf der Teilnehmerliste, wer auch gerade dabei ist, um ein bisschen zu chatten.

Auch viele andere Unternehmen setzen verstärkt auf solche virtuellen Messen, zum Beispiel Pilz aus Ostfildern, internationaler Komplett-Anbieter in Sachen Automatisierungstechnik, oder das Maschinenbau-Unternehmen Chiron aus Tuttlingen.

Service mit smarten Tools

Fernunterstützung: Landmaschinen von John Deere können vom Kundendienst häufig aus der Ferne wieder flottgemacht werden.

Der Kunde meldet, dass der Mähdrescher, Häcksler oder die Feldspritze streikt? Der Servicetechniker kann nicht zum Kunden fahren? Dann inspiziert man die Maschine eben einfach vom Büro aus. Beim Landmaschinenhersteller John Deere, der ein großes Werk in Mannheim hat, heißt das „Remote Support“: Fernunterstützung und Ferndiagnose. Sensoren an den Maschinen sammeln Daten, die aus der Ferne abrufbar sind. So kann der Kundendienst falsche Einstellungen oder Störungen erkennen und oft auch gleich beheben. Fast so, als würde der Servicetechniker mit dem Landwirt auf der Maschine sitzen.

Werkplanung per Computer

Bei Audi in Neckarsulm können ganze Produktionshallen bis ins Detail geplant werden, ohne dort zu sein! Der Autohersteller hat mit spezieller Hard- und Software komplette Gebäude dreidimensional gescannt. Ergebnis: Eine gesamte Halle ist inklusive aller Maschinen, Anlagen und Regale virtuell begehbar, Umbauten und Ergänzungen sind viel leichter umzusetzen. Projektleiter Andre Bongartz verdeutlicht: „Unsere Planer können von zu Hause aus Produktionshallen vermessen und damit Anlagen präzise planen, ohne auch nur einen Meterstab in die Hand zu nehmen.“ Audi nutzt auch sonst vielfach digitale Möglichkeiten: So werden Servicetechniker weltweit per Virtual Reality im Umgang mit dem neuen Modell e-tron geschult.

Maschinenabnahme aus der Ferne

Virtuelle Maschinenabnahme: Ihre Vorteile werden im Maschinen- und Anlagenbau längst intensiv genutzt, hier etwa bei Index in Esslingen.

Viele Maschinenbau-Unternehmen bieten ihren Kunden inzwischen an, die Abnahme einer Anlage virtuell durchzuführen. Zum Beispiel der Drehmaschinen-Spezialist Index aus Esslingen. Die Anwendungstechniker nehmen die Maschine dann im Hause Index in Betrieb, filmen alles und übertragen die Videoaufnahmen per Livestream an die Kunden. Die Kunden erleben alles hautnah mit und können so gemeinsam mit den Index-Mitarbeitern prüfen: Funktionieren alle Abläufe? Stimmen die Maße der Werkstücke? Weil die virtuelle Maschinenabnahme viel Zeit und Reisekosten spart, ist sie für die Branche nicht nur in Pandemie-Zeiten interessant.

Barbara Auer
aktiv-Redakteurin

Barbara Auer berichtet aus der aktiv-Redaktion Stuttgart vor allem über die Metall- und Elektro-Industrie Baden-Württembergs – auch gerne mal mit der Videokamera. Nach dem Studium der Sozialwissenschaft mit Schwerpunkt Volkswirtschaftslehre volontierte sie beim „Münchner Merkur“. Wenn Barbara nicht für aktiv im Einsatz ist, streift sie am liebsten durch Wiesen und Wälder – und fotografiert und filmt dabei, von der Blume bis zur Landschaft.

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Ursula Wirtz
aktiv-Redakteurin

Als Mitglied der Stuttgarter aktiv-Redaktion berichtet Ursula Wirtz aus den Metall- und Elektrounternehmen in Baden-Württemberg sowie über Konjunktur- und Ratgeberthemen. Sie studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften. Später stieg sie bei einem Fachzeitschriftenverlag für Haustechnik und Metall am Bau in den Journalismus ein. Neben dem Wirtschaftswachstum beobachtet sie am liebsten das Pflanzenwachstum in ihrem Garten.

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