Gut 50 Kilogramm und mehr wogen die Säcke und Fässer, die Ingo Roth in seiner Ausbildung durch die Fabrikhalle schleppte. „Ich habe das Material daraus mit einer Schaufel in den offenen Kessel befördert“, erinnert er sich. Heute, rund 35 Jahre später, sind diese Zeiten vorbei. Sein Lehrberuf Chemiefacharbeiter heißt nun Chemikant. Und beim Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim, wo der 53-Jährige inzwischen arbeitet, kann sich der Nachwuchs einen solchen Ausbildungsalltag gar nicht mehr vorstellen. „Um schwere Dinge zu heben, nutzen wir unter anderem Roboter“, sagt die 22-jährige Janka Lepper, die bald fertig mit ihrer Ausbildung ist. Fast alles lasse sich per Computer steuern.
Ausbilden mit modernsten Mitteln
Tatsächlich hat sich die Ausbildung zum Chemikanten in den vergangenen Jahren enorm verändert. Davon berichten Roth, Lepper und der 36-jährige Stefan Ihrig bei einem Treffen im Ausbildungslabor ihres Arbeitgebers Boehringer Ingelheim. Zwar ist der Auftrag noch immer gleich: nämlich aus Chemikalien etwa Medikamente herzustellen, Maschinen zu überwachen und fertige Produkte abzufüllen. Doch etliche Ventile mit der Hand zu drehen oder Kessel mit Hammer, Schraubenzieher und Schrubber zu reinigen, ist nicht mehr nötig. Das alles übernehmen automatisierte Maschinen, die sich über Touchscreens steuern lassen. Chemikanten, die dies können, gehören zu den begehrtesten Fachkräften der Branche. Und die Unternehmen investieren viel, um Nachwuchs mit modernsten Mitteln in dreieinhalb Jahren auszubilden.
So hat Boehringer Ingelheim vor zwei Jahren für rund 1,5 Millionen Euro das Ausbildungslabor gebaut, in dem der Nachwuchs Schritt für Schritt lernt, wie unterschiedliche Anlagen funktionieren. Zudem erproben die Azubis hier in kleinem Maßstab und sicherer Umgebung die Stoffe und Prozesse, die zur Herstellung der Endprodukte nötig sind.
Auch an der Berufsschule geht es inzwischen viel digitaler zu. Lepper und ihre Mitschüler können viel mit Tablet oder Laptop arbeiten. Eine schwere Tasche voller Bücher, die Ingo Roth früher noch mit sich rumtrug, brauchen sie nicht. Und während Roths Ausbildungsgehalt früher so gerade für die nötigen Lernmittel reichte, verdient seine junge Kollegin heute so viel, dass sie sich ein Auto und eine Wohnung leisten kann. „Ich wusste aber von Anfang an, dass der Job sicher ist und mir sehr gute Perspektiven bietet“, sagt Roth.
Das bestätigt auch Stefan Ihrig, der seit seiner Ausbildung in dem Familienunternehmen arbeitet. Schon als Berufseinsteiger verdiene man mehr als viele Altersgenossen. „Das Gehalt liegt inklusive Zulagen sicher bei 2.500 Euro netto“, sagt Ihrig. Dank Tarifvertrag steige es kontinuierlich. Zulagen gibt es unter anderem dafür, dass die Chemikanten im Schichtbetrieb arbeiten. Boehringer produziert rund um die Uhr: Es gibt Schichten ab 6 und 14 Uhr und die Nachtschicht von 22 bis 6 Uhr morgens. „Natürlich ist es nach der Schulzeit erst mal eine Umstellung, nachts zu arbeiten“, sagt Lepper. Sie mache die Schicht aber gerne. Ihrig, der inzwischen seinen Meister gemacht hat und in die Revision gewechselt ist, vermisst mitunter die Vorzüge des Schichtsystems. „Man hat teilweise mehr Zeit für die Familie. Im Sommer konnte ich oft nachmittags um drei mit den Kindern ins Freibad gehen“, sagt er. Und für Wochenend- und Feiertagsdienste gebe es Ausgleichstage: „So kommt man schnell auf 56 Urlaubs- und Ausgleichstage im Jahr, das ist toll.“
Gute Karrierechancen
Es gibt heute aber auch die Möglichkeit, sich schon während der Ausbildung weiterzubilden. Janka Lepper hat sich für ein duales Studium entschieden. Alle zwei Wochen verbringt sie den Freitag und Samstag an der Technischen Hochschule Bingen. Dort studiert sie Prozesstechnik und wird bei Boehringer später ingenieurtechnische Aufgaben übernehmen können. Abitur zu haben ist keine Voraussetzung, um Chemikant werden zu können. Zwar hätten viele der bis zu zwölf Auszubildenden pro Jahr bei Boehringer die Hochschulreife, sagt Bernhard Schmitz, einer der Ausbildungsreferenten. „Wir würden uns aber auch noch mehr Bewerbungen von Realschüler*innen wünschen.“
Die Bewerbungen lassen sich heute bequem am Computer schreiben. Ingo Roth hingegen verfasste sie damals noch mit der Hand. Mehrere Hundert Bewerbungen habe er geschrieben – und er ist froh, dass er Chemikant wurde. „Die Ausbildung ermöglicht einem, etwas Sinnvolles zu tun“, sagt Roth. Bei Boehringer arbeiteten Chemikanten schließlich daran mit, Krankheiten wie Krebs zu bekämpfen. Eine Aufgabe, von der viele Millionen Menschen profitieren.
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