Berlin. Alarm beim Wohnungsbau: Seit zwei Jahren gehen die Fertigstellungen zurück, von 306.000 Wohnungen 2020 auf zuletzt nur 280.000 Einheiten. 2023 könnte die Bilanz sogar noch schlechter ausfallen! Die von der Bundesregierung offiziell angestrebten 400.000 Wohnungen pro Jahr rücken in weite Ferne.

„Die Wohnungsknappheit wird dramatisch zunehmen“, warnt Tim-Oliver Müller, Chef des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie (HDB). Vor allem in Ballungszentren werde zu wenig gebaut. Schlechte Nachrichten für Wohnungssuchende – ob nun Mieter oder Kaufwillige.

Mit industriell gefertigten Bauteilen wird der Rohbau um 30 Prozent preiswerter

Der Hintergrund: 2022 brachte den perfekten Sturm für den Wohnungsbau. Baumaterialien wie Zement, Kalk, Beton, Ziegel verteuerten sich mit zweistelligen Raten. Die Zinsen für Baukredite erhöhten sich kräftig auf rund 4 Prozent. Und an den Budgets potenzieller Käufer nagt die Teuerung vor allem durch hohe Energiepreise. Logische Folge: Projekte wurden storniert, Eigenheimpläne aufgegeben.

Was kann man nun tun, damit der Wohnungsbau neuen Schub kriegt? HDB-Chef Müller fordert: „Die Politik muss endlich die Bauordnungen vereinheitlichen!“ Dann kann die Branche Bauteile industriell vorfertigen und damit schneller und preiswerter bauen. Um 30 Prozent ließen sich so die Kosten beim Rohbau senken, betont Müller. Aber 16 unterschiedliche Bauordnungen in den 16 Bundesländern machen das bisher unmöglich, sie regeln zum Beispiel die Höhe von Brüstungen oder die Breite von Treppenhäusern jeweils verschieden.

Wohnungsbau: Energetische Standards für die Förderung enorm hochgeschraubt

„Außerdem braucht der Wohnungsbau verlässliche Förderregeln“, fordert der Verbandsmanager. Letztes Jahr stoppte die Regierung gleich zweimal die Neubauförderung und schraubte die energetischen Standards, die Voraussetzung für eine Förderung sind, enorm hoch: auf den Standard „Effizienzhaus 40 mit Nachhaltigkeits-Klasse“. Im März sollen wieder neue Förderregeln kommen. Müller: „Bei den Vorlaufzeiten am Bau ist das zu spät für 2023.“ Die weitere Befürchtung: ein zu niedrig angesetzter Fördertopf.

Auch Immobilien-Experte Ralph Henger vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hält wegen der steigenden Anforderungen bei Dämmung und Energieeinsparung „mehr finanzielle Mittel bei Neubau- und Eigenheimförderung“ für nötig. Hilfreich wäre es zudem, wenn die Länder ihre Grunderwerbsteuer absenken würden – zumindest für all jene, die erstmals eine Wohnung oder ein Haus kaufen.

Städte müssen ganze Viertel neu planen

Schließlich müssten boomende Städte wie Leipzig oder Köln den Neubau in großem Stil anpacken. „Die brauchen ganze Viertel neu!“, fordert Henger. „Sie müssen groß planen und wachsen. Das passiert viel zu wenig.“

Übrigens: Laut einer IW-Studie von 2021 kann man mit „nur“ 310.000 neuen Wohnungen pro Jahr den Bedarf decken! Dann müsste man allerdings aufhören, auch dort zu bauen, wo es schon viel Leerstand gibt.

Hans Joachim Wolter
aktiv-Redakteur

Hans Joachim Wolter schreibt bei aktiv vor allem über Klimaschutz, Energiewende, Umwelt, Produktinnovationen sowie die Pharma- und Chemie-Industrie. Der studierte Apotheker und Journalist begann bei der Tageszeitung „Rheinpfalz“ in Ludwigshafen und wechselte dann zu einem Chemie-Fachmagazin in Frankfurt. Wenn er nicht im Internet nach Fakten gräbt, entspannt er bei Jazz-Musik, Fußballübertragungen oder in Kunstausstellungen.

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