München. 360-Grad-Blick ins voll besetzte Stadion. Ran an den Rasen, Zoom auf den Fünfmeterraum: So nah kommt man dem Spielfeld einer Profi-Arena persönlich normalerweise nie. Mit virtueller Realität (VR) aber geht’s, die Technik beamt einen mittenrein. Spezialkameras fangen das Stadion dazu aus allen Blickwinkeln ein und erschaffen so eine künstliche Welt, die man per 3-D-Brille „betreten“ und erleben kann. Torjubel und Fangesänge inbegriffen.
„VR ermöglicht krasse Perspektivenwechsel“, sagt Christoph Ostler, Gründer und Geschäftsführer der Firma Connected Reality in München. Die virtuelle Tour durch die Allianz-Arena, wo am 14. Juni das Eröffnungsspiel der Fußball-EM, Deutschland gegen Schottland, steigt, ist nur eines von vielen Projekten, das er über die Jahre umgesetzt hat.
Der Anbieter ist seit 2011 mit immersiven Technologien am Markt. Darunter versteht man neben VR auch Augmented (AR) und Mixed Reality (MR). „Das ist keine Spielerei“, betont Ostler. Gerade in der Industrie kann die Technologie an vielen Stellen hilfreich sein.
Bühler Motor nahm mit VR eine komplette Anlage in China in Betrieb
In der digitalen Umgebung werden ganze Werkhallen und Produktionsanlagen lebendig. Etwa von Bühler Motor in Nürnberg. Für den Anbieter mechatronischer Antriebe hat Ostler eine „VR-Experience“ geplant und umgesetzt. In der Pandemie sollte eine Produktionsanlage für Motoren mittels VR in China in Betrieb gehen – ohne Fachpersonal aus Deutschland.
„Wir haben alles abgefilmt“, erzählt der Geschäftsführer. Am Ende waren es 57 Detail-Videos, die jeden einzelnen Schritt zeigten. 360-Grad-Filme, Bilder und detaillierte 2-D-Filme wurden zu einem interaktiven Training verknüpft. Neben Infos zur Inbetriebnahme enthält es Schulungsmaterial zur Fehlerbehebung – auf Englisch und Mandarin. Per VR-Brille, am Tablet, PC oder mit einer einfachen Cardboard-Brille aus Pappe können Mitarbeiter damit arbeiten.
„Die Maschine war noch schneller wieder in Betrieb und hat früher produziert als auf dem üblichen Weg“, so Ostler. In Mexiko folgte gleich das Nachfolgeprojekt. Der Kunde von Bühler Motor kann dort nun Wartungen und Inspektionen selbst durchführen, ohne dass ein Spezialist eingeflogen werden muss.
Klingt doch gut. Nur: „Viele Firmen haben VR noch überhaupt nicht auf dem Schirm“, so Ostler. Dabei lässt sich die Technologie aus seiner Sicht prima nutzen. Etwa für Firmenpräsentationen, „sie kommen authentisch rüber“.
VR hebt auch das Recruiting auf ein „neues Level“, gerade in Zeiten des Fachkräftemangels. Per 3-D-Brille können Bewerber in Ruhe von zu Hause ihren Arbeitsplatz, Kunden, Produkte und künftige Kollegen kennenlernen. Selbst Schulungen, Aus- und Weiterbildung machen mit VR mehr Spaß. „Man lernt schneller, leichter und kann sich die Inhalte besser merken“, so Ostler. „Es bleibt einfach mehr hängen.“
Inklusionsprojekt mit 3-D-Brille und Fun auf der Eisbachwelle
Fun-Projekte? Ja, die gibt es auch. Auf der legendären Eisbachwelle surfen (es fühlt sich an, als ob man auf dem Surfbrett steht), über den Viktualienmarkt bummeln oder rauf auf den Chinesischen Turm, alle drei waren Teil einer VR-Experience von Connected Reality für München Tourismus.
VR ist auch perfekt, wenn sich Firmen für Inklusion engagieren möchten. Connected Reality hat dazu VR4Kids.de entwickelt. Das Projekt ermöglicht benachteiligten und behinderten Kindern Erlebnisse, die sie sonst nicht hätten. Etwa ein virtuelles Basketballtraining mit Proftrainern.
Friederike Storz berichtet für aktiv aus München über Unternehmen der bayerischen Metall- und Elektro-Industrie. Die ausgebildete Redakteurin hat nach dem Volontariat Wirtschaftsgeografie studiert und kam vom „Berliner Tagesspiegel“ und „Handelsblatt“ zu aktiv. Sie begeistert sich für Natur und Technik, Nachhaltigkeit sowie gesellschaftspolitische Themen. Privat liebt sie Veggie-Küche und Outdoor-Abenteuer in Bergstiefeln, Kletterschuhen oder auf Tourenski.
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