Wer derzeit in die Halle 5 der Papenburger Meyer Werft kommt, kann dort ein ziemlich ungewöhnliches Schiff entdecken. Allerdings muss man schon sehr aufmerksam sein, um es nicht zu übersehen, denn verglichen mit den schwimmenden Palästen, die hier üblicherweise entstehen, wirkt die „Dortmund IX“ wie eine Nussschale.
Mit ihrer Länge von rund 22 Metern ist sie kaum größer als ein Rettungsboot auf modernen Kreuzfahrtschiffen, aber Größe spielt hier keine Rolle. Denn der Dampfschlepper, gebaut 1904 für die Westfälische Transport-Actien-Gesellschaft (WTAG), hat historische Bedeutung. Er ist das zweitälteste noch existierende Schiff der Meyer Werft.
Im letzten Moment vor dem Abwracker gerettet
Dass die „Dortmund IX“ nun wieder in Papenburg liegt, ist ein echter Glücksfall, denn eigentlich war ihre Verschrottung schon beschlossene Sache. Doch dann erfuhr die Papenburg Marketing GmbH von der Sache und rettete das Schiff im letzten Moment vor dem Abwracker.
Nun wartet auf das Schiff eine neue Aufgabe, denn es soll – sobald alle Renovierungs- und Umbauarbeiten beendet sind – zu einem Highlight der geplanten „Maritimen Erlebniswelt“ (MEW) in Papenburg werden. Mit dieser Einrichtung soll die besondere Historie von Deutschlands südlichster Seehafenstadt als Werft- und Seehandelsstandort an verschiedenen Stellen im Stadtgebiet „erlebbar und erfahrbar gemacht“ werden, wie Heiko Abbas sagt.
Zuletzt unter dem Namen „Wümme“ im Dienst
Abbas ist Geschäftsführer der LGS gGmbH, die ihren Namen noch von der Landesgartenschau 2014 hat und die MEW realisieren soll. Die Pläne der Stadt sind ambitioniert, neben dem Dampfschlepper soll auch der Zeitspeicher am Ölmühlenplatz Teil der Erlebniswelt werden, außerdem Anlagen wie der Alte Turm von Papenburg und das Freilichtmuseum Von-Velen-Anlage. Und natürlich die bereits vorhandenen Museumsschiffe aus den 80er und 90er Jahren, die im Hauptkanal liegen.
Auf der Meyer Werft sind bereits mehrere Museumsschiffe entstanden
Ehe die „Dortmund IX“ dort ihren Liegeplatz beziehen kann, ist noch einiges zu erledigen. Denn von dem Schiff, das zuletzt unter dem Namen „Wümme“ fuhr, ist nicht viel mehr übrig als der Kasko, also der entkernte und schwimmfähige Rumpf.
Sachkundige Hilfe vom Ausbildungsleiter
Der soll nun gründlich instandgesetzt und unter anderem mit einem Fahrstuhl ausgestattet werden, damit der Schlepper später als barrierefreies Museumsschiff dienen kann. In dem Rumpf, so der Plan, wird dann eine interaktive Ausstellung zu sehen sein, die dem Besucher anschauliche Informationen zum Thema Dampf- und Stahlschiffbau bietet.
Das Besondere an der Aktion: Die auf der Werft anfallenden Arbeiten werden fast vollständig von jungen Azubis übernommen, die bei diesem Projekt sachkundige Hilfe von ihrem Ausbilder Andreas Thür bekommen.
Bis Ende 2021 soll alles fertig sein
Thür ist genau der richtige Mann für dieses ambitionierte Projekt, er hat vor über 30 Jahren selber auf der Meyer Werft gelernt und damals an der Brigg „Friederike“ mitgearbeitet, die heute im Hauptkanal direkt vor dem Papenburger Rathaus liegt. Das Schiff war ebenfalls ein Azubi-Projekt; es wurde in den 1980er Jahren basierend auf Originalplänen von Auszubildenden der Meyer Werft nachgebaut und ist heute als Teil des schwimmenden Schifffahrts-Museums ein Wahrzeichen der Stadt.
Aber anders als die „Friederike“ ist die „Dortmund IX“ tatsächlich alt. So alt, dass man viele helfende Hände braucht, um die anstehende Arbeit innerhalb des vorgegebenen Zeitplans zu erledigen, denn laut Plan soll das Schiff bis Ende 2021 komplett fertig sein.
Rund 20 Azubis sind beteiligt
Ausbildungsleiter Erwin Siemens: „Von den rund 180 Azubis, die wir derzeit ausbilden, sind etwa 20 an diesem Projekt beteiligt. Für uns alle ist es etwas ganz Besonderes, so ein echtes Stück Geschichte wieder auf unserer Werft zu haben.“
Einer der Azubis ist Timo Geyken aus Westrhauderfehn, der sich nach einem Praktikum bei Meyer für eine Ausbildung als Konstruktionsmechaniker Ausrüstungstechnik entschieden hatte. Kein Zufall, schon sein Vater war auf der Werft beschäftigt und der Opa ebenfalls.
„So eine Chance bekommt man selten“
Der 18-Jährige ist im zweiten Lehrjahr und freut sich auf die Arbeit an der „Dortmund IX“. „Das ist schon eine spannende Sache“, sagt er. „So eine Chance bekommt man selten.“ So sehen es auch seine beiden Azubi-Kollegen Martin Haas und Marcel Schröder, die im gleichen Jahrgang wie Timo Geyken sind. Ihr Fazit: „Das Schiff wird, wenn nichts dazwischenkommt, noch in vielen Jahren als Museumsschiff in Papenburg liegen. Und wir waren ein Teil der Truppe, die das ermöglicht hat. Das macht einen schon ein bisschen stolz …“
Auch der Betriebsrat der Werft ist von dem Projekt sehr angetan und bringt sich aktiv ein. Betriebsratsmitglied Ludger Husmann, der ähnlich wie Andreas Thür am Bau der „Friederike“ beteiligt war: „Hier haben die Azubis die Gelegenheit, ein Schiff komplett durchzuplanen und zu bauen. Das ist bei unseren riesigen Kreuzfahrtschiffen natürlich nicht möglich.“
600.000 Euro für den Umbau eingeplant
Die Arbeiten auf der Werft laufen in enger Abstimmung mit den Verantwortlichen der „Maritimen Erlebniswelt“. Ausbilder Siemens: „Zuerst erstellen wir eine detaillierte 3-D-Zeichnung von dem Schlepper. Die geht dann an die Planer, und anschließend beraten wir gemeinsam, wie das Schiff aufgebaut werden muss, um die geplante Ausstellung unterzubringen.“
Heiko Abbas: „Wir werden uns dabei so gut wie möglich an den Originalplänen orientieren. Allerdings wird die ‚Dortmund IX‘ am Ende ein bisschen anders aussehen, denn schließlich machen wir aus dem ehemaligen Dampfschlepper ein schwimmendes Museum, das den Erfordernissen der heutigen Zeit entsprechen muss.“
Insgesamt steht für den Umbau eine Summe von 600.000 Euro zu Verfügung. „Wird knapp“, sagen Siemens und Abbas. Aber sie sind sich einig: „Wir schaffen das. Gemeinsam.“
Der gebürtige Westfale ist seit über 35 Jahren im Medienbereich tätig. Er studierte Geschichte und Holzwirtschaft und volontierte nach dem Diplom bei der „Hamburger Morgenpost“. Danach arbeitete er unter anderem bei n-tv und „manager magazin online“. Vor dem Wechsel zu aktiv leitete er die Redaktion des Fachmagazins „Druck & Medien“. Wenn er nicht für das Magazin „aktiv im Norden“ in den fünf norddeutschen Bundesländern unterwegs ist, trainiert er für seinen dritten New-York-Marathon.
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