Wer in diesen Tagen das weitläufige Areal der Emder Werft und Dock GmbH (EWD) besucht, hat die einmalige Gelegenheit, die ganze Vielfalt der maritimen Industrie an einem Ort zu erleben. Im Trockendock liegt das Forschungsschiff „Meteor“, einige Meter weiter das große Doppelrumpfschiff „Planet“ und der ähnlich gebaute Zollkreuzer „Helgoland“, auf der Freifläche lagern Teile für eine riesige Offshore-Fischfarm und Komponenten für die neue Kanal-Schleusenkammer in Brunsbüttel, und am anderen Ende der Werft wird emsig an zwei Kreuzfahrtschiffen gearbeitet.
Am beeindruckendsten aber ist die Konstruktion, die seit einigen Monaten im großen Dock liegt. Es ist das historische Feuerschiff „Amrumbank“, das 1915 auf der Papenburger Meyer Werft vom Stapel lief und seit vielen Jahren als schwimmendes Museum zu den Wahrzeichen Emdens zählt. Nun war eine Grundsanierung fällig.
Vereinsmitglieder mit viel Engagement
EWD-Geschäftsführer Niels Rehbock ist der Stolz anzumerken, wenn er über die „Amrumbank“ spricht. „An diesem Auftrag waren natürlich viele Werften interessiert“, sagt er. „Gleichzeitig stand fest, dass man sehr vorsichtig agieren muss, denn bei historischen Schiffen kann es ja schon mal böse Überraschungen geben … Aber am Ende waren wir einig: Es wäre ein Fehler gewesen, die ‚Amrumbank‘ einfach an uns vorbeifahren zu lassen.“
Und so nahmen Anfang Januar zwei Schlepper das rote Museumsschiff an die Leine, um es vom Tonnenhof des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamts zum Dock 4 von EWD zu bugsieren. Vorausgegangen waren langwierige Verhandlungen mit diversen Beteiligten, darunter auch die Mitglieder des Vereins „Museums-Feuerschiff Amrumbank/Deutsche Bucht“, die sich seit 1983 mit großem Einsatz und viel Sachverstand um das schwimmende Unikat kümmern.
4,4 Millionen Euro stehen zur Verfügung
Dass der Zuschlag an EWD ging, ist kein Zufall; nach Angaben des Vereins hatte die Werft das wirtschaftlich günstigste Angebot vorgelegt. Das nötige Geld kommt vom Land Niedersachsen und aus dem Sonderprogramm für Denkmalschutz des Bundes.
Der neue Eigentümer von EWD will den Standort ausbauen
Insgesamt stehen 4,4 Millionen Euro zur Verfügung. Auf den ersten Blick eine Menge Geld, aber der Betrag relativiert sich schnell, wenn man im Dock vor dem 52 Meter langen Schiff steht und sieht, wie stark der Zahn der Zeit an den genieteten Stahlplatten, den Decksaufbauten und der Innenausstattung genagt hat.
Drei Docks und jede Menge Erfahrung
„Projekte wie dieses sind eine echte Herausforderung“, sagt Robert Kellner, Leiter der Fertigungstechnik bei EWD. „Das kann nicht jede Werft. Man braucht dafür jede Menge Erfahrung und Kompetenz, und genau da liegt unsere Stärke.“
Geschäftsführer Rehbock nickt. „Außerdem sind wir bestens ausgestattet. Wir haben ein Trockendock, zwei Schwimmdocks, eine Ausrüstungspier von insgesamt 1,5 Kilometer Länge, große Hallen und spezielle Werkstätten. Das macht Schiffsreparaturen und Instandsetzungen zu einer unkomplizierten ‚One-Stop Operation‘.“
Neuer Eigentümer will alle EWD-Arbeitsplätze erhalten
Die gute Ausstattung ist gewissermaßen ein Erbe der traditionsreichen Nordseewerke, aus denen EWD vor rund sechs Jahren hervorgegangen ist. Ein wichtiger Partner bei diesem Prozess war der Investor Seafort Advisors, der sich nun zurückgezogen und seine EWD-Anteile an die Benli-Gruppe in Bremerhaven abgegeben hat.
Benli ist Stahlbau-Dienstleister für die maritime Wirtschaft und will seine neue Tochter EWD, die auch unter der Firmierung Emden Dockyard auftritt, weiterentwickeln und ausbauen. Die rund 115 Arbeitsplätze sollen erhalten bleiben.
Diversität als Strategie
Auch am Konzept wird sich voraussichtlich wenig ändern, denn das hat sich laut Geschäftsführer Rehbock bewährt. „Wir haben unsere Nische gefunden“, sagt er. „EWD hat immer auf Diversität gesetzt, und das zahlt sich nun aus, wie man an unserem aktuellen Auftragsbestand sehen kann.“
Im großen Dock sind unterdessen mehrere Schweißer dabei, die genieteten Stahlplatten der Außenhaut auszutauschen. Einige der Platten sind 15 Millimeter stark, aber auch das konnte nicht verhindern, dass im Laufe der Zeit Rostlöcher entstanden sind.
„Die Wahrheit zeigt sich immer erst im Dock“
Fertigungsleiter Robert Kellner: „Nachdem die Farbe runter war, konnte man das ganze Ausmaß der Schäden sehen. Sanierungen wie diese sind vorher schwer einzuschätzen. Die Wahrheit zeigt sich immer erst im Dock.“
Damit bei der Restaurierung alles ordnungsgemäß abläuft, gibt es einen Bauleiter, der neben dem Dock in einem Bürocontainer sitzt. In der Hitze des Sommers kein Vergnügen, aber das ficht Andreas Westphalen nicht an. Der Diplomingenieur ist Freier Sachverständiger für Traditionsschiffe und gilt bundesweit als einer der besten Kenner der Materie.
Heiraten kann man auf dem Schiff auch
Dampfschiffe sind für ihn nicht nur Job, sondern Leidenschaft und Hobby. Wenn man mit ihm über die „Amrumbank“ plaudert, wird schnell klar, dass er mit den technischen Details genauso vertraut ist wie mit der 105-jährigen Geschichte des Feuerschiffs.
„Der Mann ist positiv bekloppt“, raunt ein Werftarbeiter voller Anerkennung. „Der weiß Sachen über den Kahn, die kein anderer weiß. Für den ist das eine Herzensangelegenheit.“
Apropos: Heiraten kann man auf dem „Kahn“ übrigens auch. Das Standesamt Emden führt das Kapitänszimmer an Bord der „Amrumbank“ seit 1995 als offizielles Trauzimmer. Mehr als 1.700 Trauungen fanden seither auf dem Schiff statt.
Der gebürtige Westfale ist seit über 35 Jahren im Medienbereich tätig. Er studierte Geschichte und Holzwirtschaft und volontierte nach dem Diplom bei der „Hamburger Morgenpost“. Danach arbeitete er unter anderem bei n-tv und „manager magazin online“. Vor dem Wechsel zu aktiv leitete er die Redaktion des Fachmagazins „Druck & Medien“. Wenn er nicht für das Magazin „aktiv im Norden“ in den fünf norddeutschen Bundesländern unterwegs ist, trainiert er für seinen dritten New-York-Marathon.
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