Duisburg. Es ist schon traurig genug, wenn die Mutter oder der Vater ins Pflegeheim umziehen müssen. Dass sich dann womöglich bald das Sozialamt meldet, um Heimkosten von den erwachsenen Kindern zurückzufordern, hat vielen Menschen zusätzlich Sorge gemacht. Damit ist es nun weitgehend vorbei!
Seit Anfang 2020 ist der sogenannte Elternunterhalt großzügiger und klarer geregelt. Laut Angehörigen-Entlastungsgesetz können die Kinder nur noch zur Kasse gebeten werden, wenn ihr jeweiliges Jahreseinkommen 100.000 Euro übersteigt. Jörn Hauß von der Kanzlei Hauß, Nießalla und Härdle in Duisburg erklärt, welche Folgen das hat. Er ist Fachanwalt für Familienrecht und Mitglied beim Deutschen Familiengerichtstag.
Berechnung beim Elternunterhalt: Entscheidend ist nur das Einkommen der Kinder, nicht das Vermögen
„Grundsätzlich gehen die Behörden davon aus, dass das Einkommen der Kinder unter 100.000 Euro liegt“, erklärt Hauß. Und weiter: „Maßgeblich ist ausschließlich das Einkommen, nicht das Vermögen“, erläutert der Jurist. Immobilien, Sparguthaben und andere Vermögenswerte spielen also überhaupt keine Rolle, solange das laufende Einkommen unterhalb der magischen 100.000-Euro-Grenze liegt.
Wer bislang Unterhalt für seine Eltern gezahlt hat, obwohl sein Einkommen unterhalb der 100.000-Euro-Marke liegt, kann seine Überweisungen also jetzt einstellen, denn das Sozialamt übernimmt nun die Kosten für das Pflegeheim.
Doch Vorsicht! „Gab es ein Urteil des Gerichtes, das zum Unterhalt für die Eltern verpflichtet, sollte man sich auf jeden Fall zuerst von einem Anwalt beraten lassen, bevor man die Zahlungen einstellt!“, warnt Hauß.
Einkommensprüfung bei Anhaltspunkten: Das kann schon der ausgeübte Beruf der Kinder sein
Die Neuregelung bedeutet allerdings nicht, dass das Amt jetzt überhaupt nichts mehr prüft. „Hat die Behörde hinreichende Anhaltspunkte, dass das Einkommen der Kinder möglicherweise höher als 100.000 Euro liegen könnte, wird dadurch eine Einkommensprüfung angestoßen“, erläutert der Jurist. Was solche Anhaltspunkte sein können, ist unterschiedlich.
Der erste und am nächsten liegende Anhaltspunkt sind die Angaben im Antragsformular. Wenn für den Senior der Antrag auf Sozialleistungen gestellt wird, wird dabei nämlich auch nach den Namen und Berufen der Kinder gefragt. Manchmal entsteht schon allein daraus die Vermutung, dass das Einkommen des Kindes jenseits der 100.000-Euro-Marke liegen könnte, beispielsweise bei Anwälten, Ärzten, Universitätsprofessoren oder hochrangigen Führungskräften.
Ein weiterer möglicher Anhaltspunkt sind Informationen aus öffentlichen Quellen, also beispielsweise der Presse oder dem Internet. „Man darf davon ausgehen, dass die Beamten die Namen von eventuell unterhaltsverpflichteten Personen im Internet recherchieren“, so die Erfahrung des Juristen. Finden die Beamten darüber beispielsweise heraus, dass das Kind als Geschäftsführer eines großen Unternehmens tätig oder gar prominent ist, kann auch das zu der Vermutung führen, dass sein Einkommen möglicherweise höher ist als 100.000 Euro.
Und natürlich können auch Hinweise von Privatpersonen, beispielsweise von Verwandten, dazu führen, dass das Amt ein höheres Einkommen vermutet. „Bekannte oder Verwandte sind aber nicht verpflichtet, es dem Amt zu melden, falls sie wissen, dass jemand über der Grenze liegt“, beruhigt der Experte.
Unterhaltspflicht: So prüft das Amt, ob Kinder Kosten zahlen müssen
Nur weil das Amt etwas vermutet, bedeutet das aber natürlich noch nicht, dass das Kind jetzt auch wirklich für seine Eltern Unterhalt zahlen muss. Vielmehr führt die Behörde in solchen Fällen eine Einkommensprüfung durch.
„Sobald eines der Kinder geprüft wird, weil es Anhaltspunkte für ein höheres Einkommen gibt, werden in der Regel auch alle anderen Geschwister mit überprüft“, erklärt Jörn Hauß. Denn: Wie bisher auch, sind alle Kinder gemäß ihrer Leistungsfähigkeit zum Unterhalt verpflichtet.
Doch keine Angst, falls das Amt unerwartet nach Einkommensnachweisen fragt, obwohl man doch nur wenig verdient. „Stellt sich bei der Prüfung heraus, dass das Einkommen tatsächlich unterhalb der 100.000-Euro-Grenze liegt, muss das Kind keinen Unterhalt zahlen und es wird auch keine Vermögensprüfung durchgeführt“, erläutert der erfahrene Familienrechtler.
Selbstbehalt und Schonvermögen für das unterhaltspflichtige Kind
Zeigt sich jedoch, dass das Einkommen eines Kindes höher als 100.000 Euro ist, schaut das Amt ganz genau hin. Alles, was über dem Selbstbehalt und dem Schonvermögen liegt, muss man für den Unterhalt der Eltern einsetzen. Doch das klingt schlimmer als es ist.
Beim Einkommen wird derzeit noch diskutiert, welcher Selbstbehalt in diesem Fall anzusetzen ist. „Die meisten Experten plädieren dafür, einen Selbstbehalt von 5.000 Euro im Monat anzusetzen, was in etwa einem Bruttoeinkommen von 100.000 Euro im Jahr entspricht“, weiß Jörn Hauß aus zahlreichen Gesprächen mit Fachkollegen.
Außerdem wird bei derart hohen Einkommen auch das Vermögen des Kindes überprüft. Auch davor muss man keine Angst haben. „Das Schonvermögen ist sehr hoch, sodass man es nur in sehr seltenen Fällen für den Unterhalt einsetzen muss“, beruhigt der Jurist.
Bei einem 50-Jährigen mit einem Einkommen von mehr als 100.000 Euro beträgt das Schonvermögen beispielsweise rund 550.000 Euro plus dem Wert einer selbst bewohnten Immobilie. Erst, wenn das Vermögen darüber liegt, müsste man es für den Unterhalt der Eltern verwenden.
Silke Becker studierte Soziologie, BWL, Pädagogik und Philosophie. Seit ihrem Abschluss arbeitet sie als Redakteurin und freie Journalistin. Außerdem hat sie mehrere Bücher veröffentlicht. Am liebsten beschäftigt sie sich mit den Themen Geld, Recht, Immobilien, Rente und Pflege.
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