Freising. Das klingt erst einmal bizarr: Pflanzenanbau, für den man keine Erde benötigt, keine Sonne und kaum Platz – und der damit problemlos überall in der Stadt funktioniert. Aber das ist längst keine Science-Fiction mehr: „Vertical Farming“, also senkrechte Landwirtschaft, soll bei steigender Bevölkerungszahl und weniger nutzbarem Boden die Versorgung mit frischem Gemüse sicherstellen. Kommt unser Grünzeug also bald aus riesigen Gewächs-Hochhäusern?!

„Vertical Farming“ versorgt die Pflanzen optimal mit Wasser und Nährstoffen

Eine, die sich mit dieser Frage täglich beschäftigt, ist Professorin Heike Mempel. Sie forscht im neu gegründeten „Applied Science Centre for Smart Indoor Farming“ der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf. „Beim Vertical Farming werden Nahrungsmittel und pflanzliche Rohstoffe unter hygienisch und klimatisch idealen Bedingungen in Hightech-Kultursystemen auf mehreren Ebenen angebaut. Salat etwa wächst gut temperiert unter LED-Licht, wird optimal bewässert und mit Nährstoffen gedüngt.“ Das funktioniert momentan noch am besten bei Kräutern oder eben Salat – der wächst schnell und benötigt wenig Platz. „In unseren Breitengraden sind die gleichbleibende Qualität der Pflanzen, der planbare Ertrag und die Nähe zum Kunden die größten Vorteile des Vertical Farmings“, erklärt Mempel. Das Gemüse ist oft sogar frischer als gewohnt, dank der kurzen Lieferwege.

Das Berliner Start-up Infarm baut smarte Farmen für Supermärkte

Das System der sogenannten Hydroponik, bei dem die Pflanzen komplett erdlos aufgezogen werden, nutzen auch die autarken Indoor-Gewächshäuser des Berliner Start-ups Infarm – das inzwischen rund 800 Mitarbeiter hat! Die Infarm-Pflanzen werden direkt im Supermarkt oder Restaurant angebaut und geerntet.

99,5 Prozent weniger Fläche und 95 Prozent weniger Wasser als die herkömmliche Landwirtschaft benötigt die Firma laut eigenen Angaben für die Produktion. Fast 70 verschiedene Arten von Kräutern und Blattgemüse wachsen in den speziellen Vitrinen. Durch die genau abgestimmte Nährstofflösung und das abgeschottete System kann man auf Pestizide und andere Pflanzenschutzmittel verzichten. Smarte Technik hilft, ein noch besseres Ergebnis zu erzielen: Jede „Farm“ ist mit einer cloudbasierten Plattform verbunden, über die Infarm kontinuierlich Daten über das Wachstum von Minze, Basilikum und Co. sammelt und analysiert. Das Konzept hat Erfolg: Schon in mehr als 1.200 Geschäften stehen die Mini-Gewächshäuser bereits.

Konventionelle Landwirtschaft hat noch viele Vorteile gegenüber der vertikalen Variante

Expertin Mempel glaubt natürlich nicht, dass Vertical Farming die konventionelle Landwirtschaft hierzulande verdrängen wird. „Beispielsweise bleiben für Getreide, Kartoffeln, Mais und Reis die klassische Landwirtschaft und herkömmliche Anbaumethoden wahrscheinlich noch lange das Maß der Dinge: Diese Lebensmittel können in vielen Regionen effizient und kostengünstig im Freiland angebaut werden.“

Zudem wird die gute Ökobilanz, die Vertical Farming beim Wasserverbrauch hat, durch die hohen Energiekosten relativiert: Die LED-Sonne rund um die Uhr ist ein echter Stromfresser. Und so kann Vertical Farming zum Beispiel in Wüstenregionen besonders sinnvoll sein – dort ist Wasser extrem knapp, dafür ist aber Solarenergie sehr günstig zu haben.

Nadine Bettray
aktiv-Redakteurin

Nadine Bettray schreibt bei aktiv vor allem über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Sie studierte Politikwissenschaft an der Fernuniversität Hagen. Anschließend zog es sie zum Arbeitgeberverband METALL NRW in Düsseldorf. Am Journalistenzentrum Haus Busch in Hagen absolvierte sie ein Volontariat. Wenn Nadine nicht am Schreibtisch sitzt, jubelt sie Rot-Weiss Essen zu oder rennt mit ihrem Hund durch den Wald. 

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