Essen. Der Schock sitzt noch in den Knochen – und doch ist es 14 Jahre her. Ein neues Kreuzfahrtschiff verlässt die Meyer Werft – und der Stromkonzern E.on schaltet vorsichtshalber eine wichtige Stromleitung über der Ems ab. Die Folge: Eine Kaskade überlasteter Leitungen, Stromausfall in halb Europa, 15 Millionen Menschen sitzen im Dunkeln oder in Bahnen und Aufzügen fest. Der Spuk dauert zwei Stunden. Die meisten haben ihn längst vergessen, aber für Heribert Hauck ist dieser Blackout noch sehr präsent - wie für viele, die mit Energieversorgung zu tun haben.

Stromverbrauch so hoch wie bei 700.000 Privathaushalten

Hauck ist Leiter der Energiewirtschaft des größten deutschen Alu-Herstellers Trimet. Das Familienunternehmen mit rund 2.300 Mitarbeitern und über 1 Milliarde Euro Umsatz braucht für die Produktion von 390.000 Tonnen Leichtmetall eine Menge Energie: 2,5 Millionen Megawattstunden pro Jahr allein am Stammsitz Essen. Zum Vergleich: Ein durchschnittlicher Haushalt verbraucht 4 Megawattstunden. Umso wichtiger ist ein stabiles Netz – und Hauck engagiert sich dafür, dass es so bleibt. „Als Großverbraucher können wir einen Beitrag leisten wie 700.000 Haushalte, die in einem kritischen Augenblick gleichzeitig auf die Nutzung ihrer Kaffeemaschine verzichten.“

Netzbetreiber dürfen Trimet einfach den Stecker ziehen

Bei Engpässen erlaubt Trimet den Netzbetreibern, ihm einfach den Stecker zu ziehen. Ohne Vorwarnung, innerhalb einer Sekunde. „Das Signal wirkt wie ein Notausschalter. Unsere Leitwarte bekommt dann eine Meldung, wie lange der Stillstand dauern wird“, schildert Hauck. „Abgeschaltet wird unser Kernprozess, die Aluschmelze."

Die Aluhütten sind so ausgerichtet, dass sie bis zu einer Stunde ohne Strom unbeschadet überstehen. „Manchmal können wir dann auf die Schnelle einige Reparaturen vornehmen, in der Regel jedoch nur warten“, sagt Hauck: „Die entgangene Produktion lässt sich später nicht nachholen. Unsere Anlagen laufen auf maximale Leistung.“ Zudem ist der Verschleiß erhöht, „und wir haben einen größeren Personalaufwand, um die aus dem Gleichgewicht geratene Elektrolyse wieder in den Griff zu bekommen“. Produktionseinbußen und höhere Kosten bekommt Trimet von den Netzbetreibern erstattet.

Systeme mussten gegen Sabotage abgesichert

Für diese wären mehr Gaskraftwerke als Reserve eine Alternative. Aber selbst die lassen sich nicht so schnell hochfahren, wie eine große Last abschalten. Die Netzbetreiber machen davon regen Gebrauch. Allein im Juni 2019 ging Trimet 31-mal vom Netz. Damals war Deutschland an drei Tagen nah an einem Blackout.

Das Ganze ist für die Essener nicht ohne: „Der Netzbetreiber greift in unsere Prozesssteuerung ein. Das erfordert ein gegenseitiges Vertrauen.“ Verlässliche Kommunikationswege mussten aufgebaut, die Systeme gegen Sabotage abgesichert werden.

Der Clou ist die „virtuelle Batterie“

Und das Unternehmen setzt auf noch mehr Flexibilität. Trimet startete vor einem Jahr den Probebetrieb der „virtuellen Batterie“, mit einer Produktionslinie aus 120 von insgesamt 360 Elektrolysezellen. Clou: Die Firma kann in den umgebauten Zellen je nach Wetterlage die Produktion hoch- und runterfahren. Wenn die Sonne scheint und der Wind bläst, können die Öfen mit überschüssigem Ökostrom bis zu 25 Prozent mehr Alu schmelzen. Ist es dunkel und windstill, drosseln sie die Produktion um bis zu 25 Prozent. Eine Weltneuheit, die Trimet mit mehreren Wissenschaftspartnern entwickelt hat.

Der Aufwand ist groß. Denn die Alu-Elektrolyse verlangt eine konstante Betriebstemperatur von 960 Grad. Schon 10 Grad drüber oder drunter sind heikel: Die Schmelze läuft aus oder erstarrt und ist nicht mehr leitfähig. Eine ganze Produktionslinie ist dann irreparabel beschädigt. Bei Trimet umgibt nun ein Wärmetauscher die Öfen im Probebereich, der das Zuviel an Wärme abzapft. Bei verringerter Energiezufuhr dient er als Isolierung. Zusätzliche Stromschienen gleichen die störenden Schwankungen des starken Magnetfelds aus.

36 Millionen Euro aus eigenen und EU-Fördermitteln hat Trimet in das Projekt investiert.

Stromversorgung

  • Das deutsche Stromnetz ist extrem zuverlässig. 2018 fiel im Schnitt bei jedem Haushalt nur insgesamt 14 Minuten der Strom aus.
  • Um das Netz stabil zu halten, griffen die Betreiber auch 2019 immer wieder ein, fuhren zum Beispiel Reservekraftwerke hoch, Gesamtkosten: 1,2 Milliarden Euro.
  • Die Aktionen sind wichtig: Allein im Juni letzten Jahres war Deutschland an drei Tagen nah an einem Blackout. Grund: unerwartete Versorgungsengpässe.
Matilda Jordanova-Duda
Autorin

Matilda Jordanova-Duda schreibt für aktiv Betriebsreportagen und Mitarbeiterporträts. Ihre Lieblingsthemen sind Innovationen und die Energiewende. Sie hat Journalismus studiert und arbeitet als freie Autorin für mehrere Print- und Online-Medien, war auch schon beim Radio. Privat findet man sie beim Lesen, Stricken oder Heilkräuter-Sammeln.

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