Abstatt. Fröhlich schlendert Sami Qaddura über den Bosch-Standort in Abstatt. Hier entwickeln 5.600 Mitarbeiter neue Technologien zum Thema Mobilität, etwa Software-Lösungen fürs automatisierte Fahren. Der 22-Jährige ist als Werkstudent einer von ihnen. Man merkt ihm nicht an, dass er vor ein paar Jahren die Hölle erlebt hat. „Ich war 17, als ich aus Syrien geflohen bin“, sagt er. Die Flucht endete zunächst in einem griechischen Gefängnis.
Allein, ohne Eltern, hatte er damals seine Heimat Syrien verlassen. Er schlug sich zu Fuß durch und hatte im Gepäck fast nichts außer seinem guten Abitur – das hier in der Regel den Weg zu einem Studium ebnet. Dann der Albtraum in Griechenland: „Dort landete ich für vier Monate hinter Gittern“, erzählt er. Weil in dem Land Unterbringungsplätze für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge fehlten, wurden viele von den Behörden in Gefängnissen untergebracht – was Hilfsorganisationen scharf kritisierten.
Er arbeitete ehrgeizig daran, Deutsch zu lernen
Als er 18 Jahre wurde, ließ man Qaddura wieder frei. 2015 gelangte er nach Deutschland. Er verständigte sich mit Händen und Füßen, lebte mal hier, mal dort und arbeitete ehrgeizig daran, Deutsch zu lernen – „ich wollte unbedingt studieren“. Und er schaffte den Weg an die Hochschule Heilbronn. Auch, weil ein befreundetes Ehepaar ihm immer wieder half: Beim Ausfüllen von Formularen, beim Lernen der Sprache, beim Schreiben von Bewerbungen. „Ohne die beiden hätte ich vieles nicht geschafft“, sagt er.
Nun ist er Student im Fach Software Engineering. Hier lernt man, Software zu entwickeln, die in vielen Dingen steckt, vom Smartphone bis zur Waschmaschine. Um das Studium durchziehen zu können, hilft ihm ein Stipendienprogramm, das die Landesregierung unter anderem mit dem Arbeitgeberverband Südwestmetall für begabte Flüchtlinge ins Leben gerufen hat. Beworben hatten sich in dieser Runde 355 Syrer, davon wurden 41 ausgewählt. „Erst wurden wir zu einem Test eingeladen“, beschreibt Qaddura, „später zu einem Gespräch, da saß man acht Leuten gegenüber, alle im Anzug.“ Er lacht, da sei ihm schon etwas mulmig gewesen.
Bei Bosch in Abstatt arbeiten Menschen aus 56 Nationen
Jetzt studiert er im vierten Semester und arbeitet nebenbei als Werkstudent bei Bosch. Vom Firmen-Areal ist er beeindruckt: „Ich war zum ersten Mal in so einem großen Unternehmen und überrascht, dass es wie eine ganze Stadt ist – sogar mit eigenem Fitness-Studio.“ Und: Hier ist es das Normalste der Welt, wenn man aus einem anderen Land stammt. Standort-Sprecherin Natalie Huber verdeutlicht: „Unsere Mitarbeiter hier kommen aus 56 Nationen.“ Auch Bosch unterstützt das Stipendienprogramm: Integration funktioniere nur, wenn alle Akteure in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft zusammenarbeiten.
Nun hat Qaddura beste Zukunfts- Chancen. Er wirkt, als könne er sein Glück noch gar nicht fassen. Seit einem Jahr sind auch seine Eltern hier: „Ich helfe ihnen, zum Beispiel mit der Post!“ Während sie sich noch orientieren müssen, hat Qaddura schon gefunden, wovon er im griechischen Gefängnis nicht mal zu träumen gewagt hatte: ein neues Zuhause.
Das „Baden-Württemberg-Programm“
- Viele syrische Flüchtlinge haben das Zeug dazu, Fach- und Führungskräfte zu werden. Um das Potenzial zu nutzen, hat das Wissenschaftsministerium Baden-Württembergs mit Beteiligung des Arbeitgeberverbands Südwestmetall und Unternehmen wie Bosch ein Unterstützungsprogramm ins Leben gerufen.
- In zwei Ausschreibungsrunden wurden Stipendien vergeben. Die Geförderten bekommen zum Beispiel Vorbereitungsseminare, Sprachkurse und Zuschüsse zu den Lebenshaltungskosten. Das soll ihre Integration verbessern – und auch andere Flüchtlinge motivieren.
Barbara Auer berichtet aus der aktiv-Redaktion Stuttgart vor allem über die Metall- und Elektro-Industrie Baden-Württembergs – auch gerne mal mit der Videokamera. Nach dem Studium der Sozialwissenschaft mit Schwerpunkt Volkswirtschaftslehre volontierte sie beim „Münchner Merkur“. Wenn Barbara nicht für aktiv im Einsatz ist, streift sie am liebsten durch Wiesen und Wälder – und fotografiert und filmt dabei, von der Blume bis zur Landschaft.
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