Karlsruhe. Was tun mit dem massenhaften Plastikmüll? Ab in die „thermische Verwertung“, sprich: Verbrennung? Das ist bisher meist der Fall: 60 Prozent des Kunststoffabfalls aus Haushalten werden verheizt! Deutschland recycelt nicht mal die Hälfte dieser 5,4 Millionen Tonnen Plastikmüll pro Jahr.

Denn: Nur ein Teil der Verpackungen etwa aus dem gelben Sack lässt sich werkstofflich wiederverwerten, liefert also nach Sortieren, Waschen und Regranulieren wieder hochwertige Rezyklate. Oft ist der Abfall dafür aber zu dreckig oder nicht sortenrein genug. Genau für solchen Plastikmüll erforscht das Team um Professor Dieter Stapf am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) neue Verfahren: ein chemisches Recycling.

„Wir schaffen einen chemischen Kreislauf für Kunststoffe“, erklärt der Experte. „Bei höheren Temperaturen zerlegen wir in unseren Reaktoren die Kunststoffe in kleine Moleküle und trennen Störstoffe und Verunreinigungen ab. Diese sogenannte Pyrolyse liefert Öle, die in der Chemie-Industrie Erdölprodukte als Rohstoff bei der Produktion von Kunststoffen ersetzen.“

Weltweit mehr als 90 Projekte zum chemischen Recycling

Der entscheidende Punkt: Die so entstehenden Kunststoffe haben dann wieder Neuware-Qualität! Damit kann man etwa Mozzarella-Verpackungen, Kühlschrank-Schubladen oder Outdoorhosen herstellen. Das Verfahren ermöglicht einen perfekten Kreislauf.

Die Pyrolyse könnte also zu einer Schlüsseltechnologie für die Chemie-Industrie werden. Deshalb sind die Karlsruher nicht die Einzigen, die diese Technik vorantreiben. Das Who’s Who der Branche ist da aktiv: der Chemiekonzern BASF, der Ölriese Shell, der Kunststoffhersteller Covestro, der österreichische Energiekonzern OMV – und so fort. Das Beratungsunternehmen Ecoprog zählte Ende 2021 weltweit über 90 Projekte für chemisches Recycling, meist in Europa. 27 Anlagen laufen demnach bereits.

Eine Anlage in Dänemark überzeugt mit erfolgreichen Testläufen

Eine davon hat ein Kooperationspartner der BASF, das norwegische Start-up Quantafuel, in einer dänischen Kleinstadt errichtet. In erfolgreichen Testläufen im Frühjahr verarbeitete diese Anlage kontinuierlich Haushalts-Plastikmüll und zeigte, dass das Konzept funktioniert (sogenanntes „Proof of Concept“). 16.000 Tonnen Abfall im Jahr soll sie verwerten. Die BASF hat 20 Millionen Euro in das Start-up investiert, unterstützt es technisch – und hat vier Jahre lang ein Vorkaufsrecht für das Pyrolyseöl. Der Konzern hat sich zum Ziel gesetzt: Ab 2025 will er jährlich 250.000 Tonnen recycelte Rohstoffe verarbeiten.

Was das chemische Recycling so interessant macht: Auch viele andere Plastikabfälle lassen sich damit endlich verwerten! „Auch beim Bau und bei der Produktion von Elektrogeräten oder Autos fallen große Mengen an Kunststoff an, die bisher nicht recycelt werden können“, sagt Professor Stapf. Daher teste etwa der Autohersteller Audi mit den Karlsruhern chemisches Recycling, was langfristig auch beim Verwerten von Altfahrzeugen helfen könnte.

Das neue Verfahren muss amtlich noch anerkannt werden

Zudem ermöglicht die Pyrolyse ambitionierte Recyclingziele. 55 Prozent der Plastikabfälle will die EU bis 2030 recyceln, Deutschland schon heute 63 Prozent der Verpackungskunststoffe. „Dies werden wir allein mit mechanischen Verfahren nicht schaffen“, so Stapf, „dafür braucht es als Ergänzung chemisches Recycling.“

Allerdings sind die neuen Verfahren hierzulande noch nicht amtlich als Recycling anerkannt, anders als etwa in Belgien und den Niederlanden. Forscher, Firmen und der Chemieverband VCI hoffen nun, dass – wie im Koalitionsvertrag festgehalten – das chemische Recycling ins Verpackungsgesetz aufgenommen wird.

Umweltschützer kritisieren, die Pyrolyse sei viel zu energieaufwendig. Doch da widerspricht Experte Stapf vehement: „Das ist falsch. Die Pyrolyse selbst braucht nicht mehr Energie als das Waschen und Schmelzen beim mechanischen Recycling – und sie vermeidet das Verbrennen bisher nicht recycelbarer Abfälle!“

Mit Pyrolyse gegen den Plastikmüll in Südostasien

Übrigens: Mit chemischem Recycling ließe sich auch der Plastikmüll in Südostasien und China bekämpfen. Dort gibt es viel Abfall, zahlreiche Deponien und bisher wenig Recyclinganlagen. Das mache die Pyrolyse in diesen Regionen interessant, heißt es in einer Studie der Unternehmensberatung Boston Consulting Group aus dem Jahr 2019.

Die Autoren untersuchten die wirtschaftlichen Perspektiven für die Technologie in weltweit acht verschiedenen Märkten. Ergebnis: In sechs Märkten würden sich Investitionen in Pyrolyse-Anlagen rechnen. Zum Wohle von Umwelt und Meeren. Fazit der Autoren: Speziell die Pyrolyse „kann eine wichtige Rolle spielen, die Auswirkungen von Plastik auf die Umwelt mittelfristig einzudämmen.“

So funktioniert die Pyrolyse

  • Ablauf. Der Kunststoffabfall wird im Reaktor auf 400 bis 500 Grad Celsius erhitzt. Die Kunststoffe verflüssigen sich und in manchen Fällen spalten Katalysatoren sie in kleine Moleküle. Störende Stoffe wie Flammschutzmittel oder Chlor werden abgetrennt.
  • Ergebnis. Es entstehen je nach Abfall zwei Drittel Öl sowie ein Drittel Gas und Koks. Das Pyrolyseöl ersetzt Erdöl bei der Erzeugung von Grundstoffen, aus denen wieder Kunststoffe gemacht werden. Mit dem Gas und Koks erzeugt man Wärme für den Reaktor.
  • Andere Verfahren. Man kann Plastik bei sehr hohen Temperaturen zu Synthesegas umsetzen, auch ein Chemierohstoff. Manche Kunststoffe lassen sich zudem mit Lösungsmitteln aufspalten.
Hans Joachim Wolter
aktiv-Redakteur

Hans Joachim Wolter schreibt bei aktiv vor allem über Klimaschutz, Energiewende, Umwelt, Produktinnovationen sowie die Pharma- und Chemie-Industrie. Der studierte Apotheker und Journalist begann bei der Tageszeitung „Rheinpfalz“ in Ludwigshafen und wechselte dann zu einem Chemie-Fachmagazin in Frankfurt. Wenn er nicht im Internet nach Fakten gräbt, entspannt er bei Jazz-Musik, Fußballübertragungen oder in Kunstausstellungen.

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