München. Ihr Schulabschluss liegt fast 40 Jahre zurück, eine Berufsausbildung hat sie nie gemacht, stattdessen sieben Kinder großgezogen: „Die Chancen auf dem Arbeitsmarkt sahen nicht so rosig aus“, sagt Lydia Fankhaenel (55). Doch da die Kinder nun erwachsen sind, wollte sie endlich beruflich durchstarten. Und hat es geschafft!
Geholfen bei diesem Einstieg hat ihr das Modellprojekt „Neustart für Frauen“, das die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) gemeinsam mit der Regionaldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit aufgelegt hat. Es ist Teil der Initiative „Fachkräftesicherung FKS+“ und unterstützt Frauen beim Wieder- und Neueinstieg in den Beruf. Im Rahmen eines Online-Projektbesuchs haben alle Beteiligten einen Einblick in die Praxis gegeben.
Individuelle Förderung steht im Mittelpunkt
24 Frauen haben seit Beginn der Maßnahme an den Standorten Bad Kissingen, Dingolfing und Donauwörth teilgenommen. Ziel ist es, den Frauen individuell zu helfen, und zwar bevor sie im Beruf anfangen. Dadurch können sie neue Kompetenzen etwa in IT erwerben und gleichzeitig mögliche Stolpersteine schon im Vorfeld aus dem Weg räumen: zum Beispiel, wie Mütter Beruf und Familie vereinbaren, wie die Kinder betreut werden, welche Qualifikationen benötigt werden. So müssen sich dafür nicht erst Lösungen finden, wenn der neue Job schon angefangen hat.
Für Rita Cziraki-Filkor etwa war klar, dass sie zunächst besser Deutsch lernen muss. Die 32-Jährige hat bereits zwei Ausbildungen in ihrer Heimat Ungarn abgeschlossen, kam 2014 durch einen berufsbedingten Wechsel ihres Mannes nach Bayern. Bisher hat sie sich daheim um ihren kleinen Sohn gekümmert, nun möchte sie zurück ins Erwerbsleben. Während der Projektteilnahme absolvierte sie Sprachkurse und erweiterte ihre digitalen Fertigkeiten. Ihr Berufswunsch: 3-D-Bad- oder Küchenplanerin.
Für Aljona Karstens dagegen war vor allem wichtig, wie sie künftig als alleinerziehende Mutter von drei Kindern nach einem Wiedereinstieg in den Job die Kinderbetreuung organisiert. Sie ist froh, dass sie schon im Projekt testen konnte, wie es später wird: „Es war schwer, plötzlich fünf Tage in der Woche einen festen Termin mit Anwesenheit bei den Coachings zu haben“, sagt sie. Doch sie weiß nun, dass es klappt. Beruflich wird sich die gelernte Einzelhandelskauffrau neu orientieren und eine Umschulung zur Steuerfachangestellten machen.
So vielfältig die Lebensbiografien auch sind, für jede sucht das Projekt die individuelle Lösung. Das ist aufwendig, es lohnt sich aber, um Frauen für den Arbeitsmarkt zu gewinnen. vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt sagt: „Wir müssen jetzt trotz Pandemie alle Potenziale für Fachkräftesicherung heben.“ Denn die Krise überdeckt, dass sie dem Arbeitsmarkt langfristig fehlen.
Die Frauen knüpfen auch Kontakte zu potenziellen Arbeitgebern
Das bestätigt Daniel Terzenbach, Mitglied des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit: „Gerade in Bayern und Baden-Württemberg haben wir die robustesten Arbeitsmärkte in Deutschland. Es wird jede Hand wirklich gebraucht.“ Daher starten im Mai weitere Teilnehmerinnen. Neu dazu kommt der Standort Landshut. Geplant ist, dass sich noch mehr Unternehmen beteiligen, die Hospitationen anbieten und Kontakte zu potenziellen Arbeitskräften knüpfen.
Darüber hat auch Lydia Fankhaenel ihren Job gefunden: Die 55-Jährige lernte im Praktikum das Sozialunternehmen Sankt Johannes kennen. „Für mich war es ein echter Neustart“, sagt sie. Durch den Austausch mit anderen Frauen habe sie den Mut gehabt, diesen Schritt zu wagen.
Alix Sauer hat als Leiterin der aktiv-Redaktion München ihr Ohr an den Herausforderungen der bayerischen Wirtschaft, insbesondere der Metall- und Elektro-Industrie. Die Politologin und Kommunikationsmanagerin volontierte bei der Zeitungsgruppe Münsterland. Auf Agenturseite unterstützte sie Unternehmenskunden bei Publikationen für Energie-, Technologie- und Mitarbeiterthemen, bevor sie zu aktiv wechselte. Beim Kochen und Gärtnern schöpft sie privat Energie.
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