Berlin. Mitte Dezember hat die Gewerkschaft Verdi mehr Lohn für die etwa 100.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Papier- und Kunststoffverarbeitung gefordert: 10,5 Prozent plus, bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Basis dafür war laut einem Infoblatt vor allem eine Befragung, an der rund 5.000 Beschäftigte teilnahmen (also nur etwa jeder Zwanzigste). Um die Forderung zu begründen, verweist Verdi auf die anhaltend hohen Preissteigerungen – und erklärt: „Die wirtschaftliche Lage der Branche ist stabil.“
Das Gegenteil ist nun in einer Kurzstudie zu lesen, die das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) für den Arbeitgeberverband HPV erstellt hat. Schon seit gut einem Jahr geht demnach das Volumen der Auftragseingänge in der Papierverarbeitung zurück: Anzeichen für „eine ausgeprägte und anhaltende Branchenrezession“.
Der Preis für Wellpappenrohpapier hat stärker angezogen als der Preis für die Produkte aus Wellpappe
Der Wert der Auftragseingänge ist natürlich gestiegen, was angesichts der hohen Inflation kein Wunder ist. Die Betriebe müssen ja deutlich mehr für Energie und Material bezahlen, was zu steigenden Produktpreisen führt. Wobei sie die höheren Kosten oft nicht komplett weitergeben können, wie der Wellpappenverband VDW erklärt: „Unsere Branche konnte die massiven Kostensteigerungen bei ihrem wichtigsten Rohstoff Papier und bei der Energieversorgung nicht im erforderlichen Maße an die abnehmenden Industrien weitergeben.“ Laut IW-Studie ist der Preis für Wellpappenrohpapier seit Sommer 2021 stärker gestiegen als der Preis für die daraus gefertigten Schachteln und Kartons.
„Für 2023 erwarten wir ein etwas niedrigeres Produktionsergebnis als 2022.“
Jürgen Peschel, Arbeitgeberverband HPV
„Die Umsatzzuwächse unserer Betriebe beruhen also letztlich vor allem auf Preiserhöhungen“, unterstreicht HPV-Verhandlungsführer Jürgen Peschel, „und weniger auf zusätzlichem Geschäft. Die Stimmung in den Unternehmen ist schlechter als vor einem Jahr, für 2023 erwarten wir ein insgesamt etwas niedrigeres Produktionsergebnis als 2022.“
Das passt zum konjunkturellen Gesamtbild. Fast alle ökonomischen Prognosen rechnen mit einer Rezession, also mit einem Schrumpfen der deutschen Wirtschaftsleistung in diesem Jahr. Im jüngsten „Consensus Forecast“ wird für 2023 ein deutliches Minus von 0,5 Prozent beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) prognostiziert. Und dieses Konjunkturbarometer errechnet den Durchschnitt der Prognosen von mehr als 30 Forschungsinstituten und Banken!
Der Arbeitgeberverband HPV möchte ein neues Instrument schnell nutzen: Die Inflationsausgleichsprämie
„Die Preissteigerungen sind für Unternehmen und Beschäftigte gleichermaßen belastend“, so Peschel. Der HPV, der an einem schnellen Tarifabschluss interessiert ist, hält der Inflationsrate von rund 8 Prozent im Jahresschnitt 2022 die Lohnerhöhung im Mai 2022 von 2,4 Prozent entgegen – „und die vielfältigen staatlichen Entlastungsmaßnahmen, die 2022 je nach den persönlichen Umständen bis zu 3,4 Prozent vom Netto wert sind und 2023 dann sogar bis zu 6,8 Prozent“.
Sinnvoll wäre es aus Sicht der Arbeitgeber, eine von den Betrieben zu bezahlende Inflationsausgleichsprämie tariflich zu vereinbaren: „Das ist ein wichtiges neues Instrument, um in einer derartigen Ausnahmesituation den Beschäftigten zu helfen“, sagt Peschel, „ab etwa 2024 dürften die Energiekosten ja wieder sinken.“ Die Tarifverhandlungen beginnen am 25. Januar in Berlin.
So funktioniert die Inflationsausgleichsprämie
Die staatlichen Maßnahmenpakete zur Krisenbekämpfung haben auch eine ganz neue Möglichkeit gebracht, die alle Unternehmen noch bis Ende 2024 freiwillig nutzen können: die Inflationsausgleichsprämie. Diese Prämie dient laut Gesetz „zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise“. Wenn der Betrieb sie bezahlt, gibt es das Geld steuer- und abgabenfrei – im Volksmund: brutto für netto!
Dieses Extra muss allerdings „zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn“ fließen. Bis zu 3.000 Euro pro Beschäftigten können per Tarifvertrag, per Betriebsvereinbarung oder auch einzelvertraglich vereinbart werden. Wichtige Branchen haben diese Steilvorlage schon 2022 genutzt: In der Metall- und Elektro-sowie in der Chemie-Industrie ist so eine Inflationsausgleichsprämie schon tariflich beschlossen worden, sie fließt dort jeweils in Teilzahlungen.
Thomas Hofinger schreibt über Wirtschafts-, Sozial- und Tarifpolitik – und betreut die Ratgeber rund ums Geld. Nach einer Banklehre sowie dem Studium der VWL und der Geschichte machte er sein Volontariat bei einer großen Tageszeitung. Es folgten einige Berufsjahre als Redakteur und eine lange Elternzeit. 2006 heuerte Hofinger bei Deutschlands größter Wirtschaftszeitung aktiv an. In seiner Freizeit spielt er Schach und liest, gerne auch Comics.
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