Waltershausen. Einmal Gummimann, immer Gummimann: Klaus Faßler (63) war 47 Jahre in der Kautschuk-Industrie beschäftigt. AKTIV besuchte den ehemaligen Werkleiter von Phoenix Compounding Technology in Waltershausen (Thüringen) an seinem letzten Arbeitstag.

Herr Faßler, was überwiegt: die Vorfreude auf den Ruhestand oder die Wehmut des Abschieds?

Ich habe endlich mehr Zeit, um Sport zu treiben. Aber mir hat der Beruf sehr großen Spaß gemacht. Der Kontakt zu den Mitarbeitern wird mir fehlen. Ich war gern in Verantwortung und habe Entscheidungen gefällt. Die Kautschuk-Industrie hat mein Leben geprägt.

Der Kautschuk-Standort Waltershausen ist ohne Sie kaum vorstellbar. Wie sehen Sie die Zukunft der Gummibranche?

Außerordentlich positiv. Spezialelastomere haben immer eine große Chance – auch am teuren Standort Deutschland. Die Menschen wollen mobil sein, vor allem in den ländlichen Regionen. Das geht nicht ohne Gummi, egal ob Elektromotor oder Verbrenner. Ich sehe keinen Abschwung. Deshalb kann man jedem einen Job in der Kautschuk-Industrie empfehlen.

Alle sprechen von der Digitalisierung. Wird Industrie 4.0 bei Kautschuk Jobs kosten?

In Thüringen schlug die demografische Keule besonders früh zu. Vor zehn Jahren hatten wir für 20 Ausbildungsplätze 200 Bewerbungen, heute sind es kaum mehr als zwei Dutzend. Und das bei steigendem Qualifikationsbedarf. Ich habe deshalb den Kontakt zu den Kindergärten und Schulen gesucht und auch die benachbarten Betriebe angesprochen. Wir haben gemeinsam einen Förderverein gegründet und viele Kooperationen geschlossen. Heute haben wir ein hochmodernes Ausbildungszentrum, Thüringens erstes Bionikzentrum als außerschulischen Lernort und machen unzählige Veranstaltungen und Bewerbertrainings. Dass wir dafür kürzlich vom bundesweiten Netzwerk SchuleWirtschaft ausgezeichnet wurden, erfüllt uns mit besonderem Stolz.

Was war Ihr Erfolgsrezept, um ein Werk mit rund 1.200 Mitarbeitern gut zu leiten?

Kommunikation, Transparenz und Vertrauen. Wir haben in dieser Region sehr motivierte Mitarbeiter, die immer bereit waren, große Qualität zu liefern und die Produktivität zu erhöhen. Das war der Schlüssel, um kontinuierlich in die Produktion zu investieren. Das haben die Mitarbeiter honoriert.

Sie haben über viele Jahre in der Tarifkommission des ADK mitgearbeitet. Wie wichtig ist aus Ihrer Sicht der Flächentarifvertrag?

Ich bin ein großer Anhänger davon, sage aber auch, dass Flächentarifverträge in Zukunft noch flexibler gestaltet werden müssen. Und sie müssen mehr Öffnungsklauseln beinhalten, damit sie für alle Unternehmen passen. Die Gewerkschaften und wir haben da eine gemeinsame Verantwortung für den Standort Deutschland. Denn der Wandel, den wir derzeit erleben, bringt große, teils extreme Herausforderungen mit sich. In nahezu allen Lebens- und Berufsbereichen legt das Tempo seit einigen Jahren enorm zu.

Viele sprechen über eine neue Epoche zum Beispiel in der Auto-Industrie. Wie können wir uns darauf einstellen?

Es ist wichtig, dass wir diese Veränderungen als Chance begreifen und nicht zu stark auf die Risiken schauen. Das würde den Weg nach vorne bremsen. Wir waren an unserem Standort in Waltershausen immer mutig und haben was Neues ausprobiert. Das war immer unser Erfolgsrezept. Ich bin sicher, wenn in einem Unternehmen eine Kultur gelebt wird, die nicht von Hierachien geprägt ist, sondern von Vertrauen und Wertschätzung, Offenheit und Neugier, dann sichern wir auch die zukünftigen Herausforderungen.

Werner Fricke
Autor

Werner Fricke kennt die niedersächsische Metall- und Elektro-Industrie aus dem Effeff. Denn nach seiner Tätigkeit als Journalist in Hannover wechselte er als Leiter der Geschäftsstelle zum Arbeitgeberverband NiedersachsenMetall. So schreibt er für aktiv über norddeutsche Betriebe und deren Mitarbeiter. Als Fan von Hannover 96 erlebt er in seiner Freizeit Höhen und Tiefen.

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