Brüssel. Das Graffito hat Symbolkraft: In Kleinarbeit entfernt ein Bauarbeiter einen EU-Stern von einer Wand. Das gesprühte Bild des britischen Street-Art-Künstlers Banksy an einem Haus in Dover bringt die Mühen des Brexits auf den Punkt. Zwar haben Großbritannien und die EU nun einen Freihandelsvertrag ausgehandelt und so einen harten Brexit verhindert, trotzdem wird vieles schwieriger. Und Streit ist programmiert.

„Das Abkommen ist kein großer Wurf“

Das prognostiziert Professor Rolf J. Langhammer vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel. „Das Abkommen ist kein großer Wurf und an vielen Stellen zu vage. Er ist immerhin besser als eine Zukunft ohne Abkommen und mit Zöllen im Warenhandel. Damit wurde das Schlimmste verhindert, aber wir alle werden dadurch dennoch verlieren.“

Der Freihandelsvertrag, den Premierminister Boris Johnson und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vereinbart haben, ist 1.246 Seiten dick und gilt seit dem 1. Januar vorläufig. Bis Ende Februar stimmt das EU-Parlament endgültig darüber ab. aktiv erklärt, was sich für Betriebe und Verbraucher durch das Abkommen ändert:

Was gilt jetzt nach dem Brexit für den Handel?

Großbritannien verlässt nun zwar den Binnenmarkt und die Zollunion mit der EU. Dennoch wird es an den Grenzen zur EU keine Zölle und Mengenbegrenzungen geben. Autos, Käse, Wein oder Whisky können zollfrei und in beliebiger Menge gehandelt werden. Ohne Vertrag wären auf Autos 10 Prozent Zoll fällig geworden, auf Getreide 13,9 Prozent und auf Milch sogar 37,5 Prozent. Aber: Im- und Exporteure müssen Warenanmeldungspapiere ausfüllen, und es wird Kontrollen geben. „Auf EU-Seite werden die Zöllner sicher genauer hinschauen als auf der britischen Seite“, prognostiziert Langhammer. Kein Wunder, wenn es da zu Staus an der Grenze kommt. Das bremst die Lieferketten der Betriebe aus.

Warum gibt es durch das Handelsabkommen Grenzkontrollen?

Das Vereinigte Königreich ist für die Europäische Union nun Drittstaat. Es kann Freihandelsverträge mit den USA oder China abschließen und dann Waren von dort zollfrei einführen. „Damit solche Produkte nicht, nur geringfügig weiterverarbeitet, zollfrei in die EU gelangen, muss an der Grenze kontrolliert werden, wo die Waren herkommen“, erklärt Langhammer. Auch müssen britische Exporteure nach Europa nun aufwendig nachweisen, dass ihre Produkte und deren Komponenten überwiegend im eigenen Land oder der EU hergestellt wurden. Zudem will die EU die Standards der Produkte kontrollieren.

Wie sichert man trotz Brexit fairen Wettbewerb?

Die Standards bei Technik, Arbeits-, Umwelt- und Verbraucherschutz sollen auf beiden Seiten gleich hoch sein – und für Staatshilfen gleiche Regeln gelten. Die EU fürchtet, die Briten wollten mit leichteren Spielregeln ihr Land für Investitionen attraktiver machen. „Da ist Streit programmiert“, sagt Langhammer. Etwa, wenn die EU Standards verschärft und Großbritannien nicht mitzieht. Bei Verstößen können beide Seiten ein Schiedsgericht anrufen und, bringt das keine Lösung, die Zollfreiheit für Waren aussetzen.

Was heißt das für die Auto-Industrie?

Ihre eng verflochtenen Lieferketten und die Ausfuhr von Pkws bleiben zollfrei. Für BMW, Audi, VW und Co. ist die Insel der wichtigste Exportmarkt, auch wenn die Verkäufe seit 2016 von 800.000 auf 590.000 Autos im Jahr 2019 zurückgingen. Bis Ende August 2020 waren es krisenbedingt nur 223.000 Fahrzeuge.

Was ist mit Dienstleistungen?

Sie können nicht mehr ohne Weiteres auf dem Gebiet des anderen erbracht werden. Britische Banken und Versicherungen verlieren den automatischen Zugang zur EU und brauchen für Geschäfte das Okay nationaler Behörden und der EU-Kommission.

Was gilt für Reisen und Arbeiten?

Für Urlaub auf der Insel benötigt man einen gültigen Reisepass. Bei mehr als 90 Tagen Aufenthalt ist ein Visum erforderlich. Wer dort arbeiten will, muss eine Jobzusage und mindestens 28.000 Euro Bruttoeinkommen vorweisen. Berufsabschlüsse von Ärzten, Architekten oder Ingenieuren werden nicht automatisch anerkannt.

Fest steht: Der Handel mit den Briten wird leiden, fürchtet Langhammer. Bremsspuren gibt es bereits. Von 2015 bis 2019 sanken die deutschen Exporte auf die Insel um 10 auf 79 Milliarden Euro.

Infos für Verbraucher: EU-Hotline hilft auch bei Brexit-Fragen

Nach dem Last-minute-Brexit-Deal stellen sich auch für private Verbraucher viele Fragen, wenn es etwa um Reisen nach oder Bestellungen in Großbritannien geht. Schnelle Antworten liefert die amtliche Hotline „Europe Direct“: Sie ist unter der Nummer 00 800-67 89 10 11 an Werktagen von 9 bis 18 Uhr kostenlos erreichbar und gibt auf Deutsch Auskunft.

Hans Joachim Wolter
aktiv-Redakteur

Hans Joachim Wolter schreibt bei aktiv vor allem über Klimaschutz, Energiewende, Umwelt, Produktinnovationen sowie die Pharma- und Chemie-Industrie. Der studierte Apotheker und Journalist begann bei der Tageszeitung „Rheinpfalz“ in Ludwigshafen und wechselte dann zu einem Chemie-Fachmagazin in Frankfurt. Wenn er nicht im Internet nach Fakten gräbt, entspannt er bei Jazz-Musik, Fußballübertragungen oder in Kunstausstellungen.

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