Rietheim-Weilheim. Wie fühlt man sich als frisch ausgebildete Facharbeiterin? „Einfach glücklich“, sagt Aljona Ivanova und strahlt. Als Maschinen- und Anlagenführerin steuert sie eine Produktionslinie, an der täglich etwa 6.000 Autoschlüssel gefertigt werden – für noble Marken wie Daimler. Die Linie steht beim Unternehmen Marquardt in Rietheim-Weilheim (Tuttlingen).

Seit Februar dieses Jahres besitzt Ivanova den Facharbeiterbrief mit sehr guten Abschlussnoten. Als ihr Vorgesetzter sie vor einem Jahr ansprach, ob sie an einer Weiterbildung teilnehmen wolle, musste sie überlegen: „Die Schulzeit lag ja schon lange zurück“, erklärt sie. In nur zwölf Monaten machen ungelernte Die Entscheidung dafür sei genau richtig gewesen: „Was ich heute mache, ist viel interessanter, und ich habe mehr Verantwortung.“ In nur zwölf Monaten hat die 44-Jährige zusammen mit elf Kolleginnen die sonst zweijährige Ausbildung zur Maschinen- und Anlagenführerin durchgezogen. Alle Teilnehmerinnen haben das Ziel erreicht und hervorragend abgeschlossen.

Davor waren sie bei Marquardt in der Montage tätig. Auch Ivanova: Sie kam in den 1990er Jahren aus Kasachstan. Im November 2000 fing sie als angelernte Kraft hier am Stammsitz von Marquardt an, wo heute gut 2.500 Mitarbeiter beschäftigt sind. Schichtarbeit, Familie, Haushalt – für die eigene Weiterbildung blieb keine Zeit.

Gerade älteren Mitarbeitern bietet die betriebliche Nachqualifizierung tolle Chancen. Der Arbeitgeberverband Südwestmetall hat das Projekt gemeinsam mit dem Bildungswerk der Baden-Württembergischen Wirtschaft und der Agentur für Arbeit vor fünf Jahren initiiert. Der Bildungsträger BBQ setzt es um.

Ivanova absolvierte die Weiterbildung komplett im Betrieb bei vollem Gehalt. Für die praktische Ausbildung durchlief sie mehrere Stationen. Der Schulstoff wurde von BBQ-Mitarbeitern vermittelt.

Auf dem Stundenplan standen Wirtschaftskunde, Fertigungstechnik und Fertigungsplanung.

Was sie selbst überrascht hat: „Noch mal lernen zu dürfen, das hat mir am meisten Spaß gemacht“, sagt Ivanova. Dabei hat sie ihre Stärken in Mathe und Physik entdeckt. Marquardt hatte gute Gründe für das Projekt: reine Montagearbeitsplätze werden immer seltener, gefragt sind höhere Qualifikationen.

Marquardt braucht gut ausgebildete Fachkräfte

„Als Partner führender Marken gestaltet Marquardt Entwicklungen wie die Digitalisierung und Industrie 4.0 selbst aktiv mit. Weil damit auch die Anforderungen an unsere Arbeitsplätze steigen, werden gut ausgebildete Fachkräfte immer wichtiger“, sagt Marquardt-Geschäftsführer Jochen Becker.

Ivanova arbeitet selbstständig an „ihrer“ Fertigungslinie. Sie erhält die Beschreibung für einen Auftrag, dann geht es los: Am Monitor gibt sie ein, wie viele Leiterplatten benötigt werden – das elektronische Innenleben der Schlüssel. Die werden dann automatisch auf die Schlüssel-Unterteile aufgesetzt. An der nächsten Station kommen die Oberteile mit den Tasten darauf und werden verschweißt. Ivanova überwacht die Bildschirme. Wo es rot blinkt, muss sie eingreifen. Außerdem braucht die Linie ständig neues Material.

Für BBQ-Projektleiter Heinz Schwager ist das Projekt ein Erfolg: „Es ist ein Beitrag zur Fachkräftesicherung in den Unternehmen.“ Umgekehrt verbessere es die Arbeitsmarktchancen der Mitarbeiter in Krisenzeiten. Allein in der Region Rottweil, Villingen-Schwenningen haben bisher 50 Unqualifizierte teilgenommen. Und Marquardt will im November mit dem zweiten Durchgang starten.

Persönlich

Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?

Mein Vorgesetzter fragte mich, ob ich eine Fortbildung mitmachen möchte. Da war ich zuerst skeptisch. Heute bin ich sehr froh darüber.

Was reizt Sie am meisten?

Noch mal etwas ganz Neues machen zu können und mehr Verantwortung zu haben. Jetzt überwache ich eine komplette Fertigungsanlage.

Worauf kommt es an?

Man braucht technisches Verständnis, Fachwissen und das Interesse, an so einer Maschine zu arbeiten.