München. Das Betriebsverfassungsgesetz regelt seit 50 Jahren die Mitbestimmung im Betrieb. Etwa durch Betriebsräte, die in diesem Jahr noch bis Ende Mai in Deutschland gewählt werden. Wie es um die Mitbestimmung steht, sagt Ökonom Oliver Stettes, Leiter des Kompetenzfelds Arbeitsmarkt und Arbeitswelt am Institut der deutschen Wirtschaft (IW).

Das Betriebsverfassungsgesetz ist 50 Jahre alt. Sind die Regeln aktuell?

In der Frage stecken zwei spannende Aspekte. Erstens: Gibt es zu wenige Betriebsräte und ist das problematisch? Ganz klar: Nein, ist es nicht! In jeder Firma ab fünf Personen dürfen Mitarbeiter laut Gesetz einen Betriebsrat gründen. Seit Jahren gibt es aber kaum Neugründungen. Der Bedarf scheint schlicht nicht da zu sein. Es sind ja auch alternative Formen von Mitbestimmung möglich, etwa Vertrauensleute. Wir wissen aus Umfragen, dass Zufriedenheit im Betrieb nicht von der Existenz eines Betriebsrats abhängt.

Der zweite Aspekt ist: Bedarf es Änderungen am aktuellen Mitspracherecht? Auch da sage ich ganz klar: nein.

Inwiefern reichen die heutigen Regeln aus?

Zunächst mal: Studien zeigen, dass sowohl Betriebsräte als auch Geschäftsführungen das heutige System sehr gut finden. Warum also etwas ändern? Die Frage ist vielmehr: Was ist der Sinn von betrieblicher Mitbestimmung? Es geht darum, das berechtigte Interesse von Mitarbeitern zu schützen. Das sind Fragen nach Lohn, Arbeitszeit, Arbeitsorganisation, Beschäftigungssicherheit. Genau da sind sie schon einbezogen.

Deckt das auch etwa die Herausforderungen der Digitalisierung ab?

Auch da gilt: Immer, wenn diese eben genannten berechtigten Interessen betroffen sind, etwa durch den Einsatz neuer Technologien, haben Betriebsräte Mitspracherecht. Chancen der Digitalisierung könnte man aber bei der Mitbestimmung nutzen und etwa Verfahren effizienter machen.

„Am Ende des Tages muss es immer um das Wohl des Betriebs gehen.“

Oliver Stettes, Institut der deutschen Wirtschaft

Mitsprache ist ein hilfreiches Instrument, so sollte man das auf beiden Seiten verstehen. Erfahrungen zeigen, dass Wandel meist reibungsloser abläuft, wenn zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung Vertrauen herrscht. Mitarbeitervertreter sind wertvolle Vermittler, wenn es darum geht, Kollegen notwendige, einschneidende Entscheidungen zu erklären. Reden hilft, in beide Richtungen! Das ist wie in einer Ehe: Wenn ich einen Partner mit einer Entscheidung überrumple, muss ich mich über seine Reaktion nicht wundern.

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Letztlich müssen beide Parteien aber ein gemeinsames Verständnis dafür haben, dass am Ende des Tages das Wohl des Betriebs über allem steht.

Funktioniert das denn?

Gerade Erfahrungen aus Krisen, etwa der Wirtschaftskrise 2008/09 oder während der Pandemie, haben gezeigt, dass Betriebsräte ein wertvolles Medium sind, wenn Firmen in Notlagen stecken. Sie haben Einblick in Geschäftszahlen und sind vertrauenswürdig, wenn sie zur Belegschaft sagen: Okay, wir müssen jetzt einen schmerzhaften Entschluss fassen.

Davon abgesehen beweist der wirtschaftliche Erfolg, dass das System funktioniert. Unsere Industrie ist international sehr erfolgreich. Offensichtlich hat das auch damit zu tun, dass Veränderungen in der Regel zum Wohle des Betriebs gemeinsam durchgeführt werden.

Ganz konfliktfrei läuft das aber nicht ab, oder?

Natürlich darf über Interessen gestritten werden. Aber Betriebspartnerschaft bei uns zeichnet sich dadurch aus, dass man auf die Lösung schaut. Es geht hier um Kompromisse, und weniger darum, Rechte zu erstreiten. Nicht wie in Frankreich, wo Gewerkschaften ihre Manager in Schutzhaft nehmen müssen. Diese Art der Konfliktführung ist nicht zielführend. Wir kommen aus einer anderen Historie. Das darf man ruhig als Standortvorteil sehen!

Alix Sauer
Leiterin aktiv-Redaktion Bayern

Alix Sauer hat als Leiterin der aktiv-Redaktion München ihr Ohr an den Herausforderungen der bayerischen Wirtschaft, insbesondere der Metall- und Elektro-Industrie. Die Politologin und Kommunikationsmanagerin volontierte bei der Zeitungsgruppe Münsterland. Auf Agenturseite unterstützte sie Unternehmenskunden bei Publikationen für Energie-, Technologie- und Mitarbeiterthemen, bevor sie zu aktiv wechselte. Beim Kochen und Gärtnern schöpft sie privat Energie.

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