Gescher. Eigentlich ist der spezielle gelbliche Mohairstoff, der gerade in der Warenschau über den Tisch läuft, eine glatte Sache. „Das sieht aber nur so aus: Tatsächlich ist der Stoff rau, wenn man ihn gegen den Strich streicht“, erklärt Geschäftsführer Norbert Hilbring beim Betriebsrundgang in der Eing Textilveredelung (ETV) in Gescher. Sein Gast Anne König tut genau das: Sie streicht über den Stoff – und fragt: „Wofür ist das gut?“ Dazu später mehr!
Fragen, sich informieren, zuhören – dafür ist die 36-jährige CDU-Bundestagskandidatin aus dem Kreis Borken im Münsterland gekommen. Sie will aus erster Hand erfahren, was die Textilbetriebe in der Region umtreibt. Immerhin beschäftigen die rund 11.000 Menschen und erwirtschaften knapp 1 Milliarde Euro Umsatz pro Jahr.
Strompreis und Klimasteuer sind eine große Belastung
Beim Mittelständler ETV, einem Spezialisten für die Veredlung textiler Oberflächen, ist König da genau richtig. „Wir sind Bestandteil vieler industrieller Lieferketten aus fast allen Branchen“, erklärt Hilbring. Das Unternehmen veredelt Textilien für Bettwäsche und Matratzenbezüge, hauptsächlich aber ausgerüstete Gewebe für sicherheitsrelevante Bauteile im Automobilbau und weitere technische Anwendungen.
„Was uns beschäftigt, und damit setzen sich auch andere Textilunternehmen auseinander, sind die hohen Energiekosten“, betont der Chef. „Wir zahlen die höchsten Strompreise in Europa. Und beim Gas kommt jetzt noch die CO2-Steuer hinzu, während unsere ausländischen Mitbewerber zum Teil gar nichts zahlen müssen.“ ETV müsse schon dieses Jahr 160.000 Euro für die neue Klima-Abgabe aufbringen, in drei Jahren mehr als doppelt so viel. „Das ist eine gewaltige Mehrbelastung“, so Hilbring. Die lässt sich nicht mal so eben verringern: „Wir brauchen für unsere Art der Produktion Prozesswärme. Und die gibt es wirtschaftlich nur mit Gas.“
Wobei der 120-Mann-Betrieb, dessen veredelte Textilien zu gut einem Drittel in die Automobil-Industrie gehen, schon einiges für den Umwelt- und Klimaschutz tut. Auf dem 100.000 Quadratmeter großen Betriebsgelände reinigt eine eigene Kläranlage das Prozesswasser, belastete Abluft aus den Veredelungsprozessen wird gereinigt, die verbleibende Restwärme zum Aufheizen von Kaltwasser genutzt.
Immer mehr Bürokratie – das wird zum Standortnachteil für Unternehmen
Außerdem sortiert ein Software-System Farbreste, die dann fürs Ansetzen neuer Farben genutzt werden können. „Besonders bei diesem Engagement treffen uns durch die Umweltgesetzgebung zeitintensive Berichts- und Dokumentationspflichten, die massenweise Ordner füllen und uns vom eigentlichen Geschäft abhalten“, kritisiert Hilbring. Ein Problem, das Anne König nachvollziehen kann – und die Rolle der Politik dabei durchaus kritisch sieht: „Wenn wir bei allem, was von der EU-Kommission an Vorgaben kommt, in Deutschland noch etwas draufpacken, wird das zum Standortnachteil für die Unternehmen.“ Deshalb sei für sie der Abbau unnötiger Bürokratie eines der wichtigsten Themen der kommenden Legislaturperiode.
Der Kampf für weniger Vorschriften – er könnte so rau werden, wie die Oberfläche des gelben Stoffes ist, den König in der Warenschau gezeigt bekommen hat. Das Geheimnis des gelben Textils wird natürlich gelüftet. Es dient als Skisteigfell unter Tourenskiern: Beim Aufstieg gibt die raue Oberfläche Halt, bei der Abfahrt gleitet der Ski ungehindert dahin.
Anja van Marwick-Ebner ist die aktiv-Expertin für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie. Sie berichtet vor allem aus deren Betrieben sowie über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach der Ausbildung zur Steuerfachgehilfin studierte sie VWL und volontierte unter anderem bei der „Deutschen Handwerks Zeitung“. Den Weg von ihrem Wohnort Leverkusen zur aktiv-Redaktion in Köln reitet sie am liebsten auf ihrem Steckenpferd: einem E-Bike.
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