Schopfloch. Mal in ein fernes Land zu reisen, davon hatte Tamara Lorenz (21) schon lange geträumt. Doch als sie dann ihre ersten Schritte durch Schanghai macht, ist ihr ganz schön mulmig. Überall nur Schriftzeichen! Chinesen mustern die blonde Frau aus dem Schwarzwald voller Neugier – ein Kind zeigt mit dem Finger auf sie. „Am Anfang war alles gewöhnungsbedürftig“, erzählt die junge Frau im Rückblick. „Aber die Zeit in China war wahnsinnig wertvoll.“ 

Zwischen 2010 und 2017 hat sich die Zahl der Auszubildenden, die Auslandsluft schnuppern, bundesweit verdoppelt.

Die angehende Industriekauffrau arbeitete fünf Wochen lang im chinesischen Werk ihres Ausbildungsunternehmens Homag mit. So wie sie zieht es viele junge Leute in ferne Gefilde: Laut einer Studie des Bundesinnenministeriums hat sich die Zahl der Azubis, die Auslandserfahrung sammeln, von 2010 bis 2017 verdoppelt! 5,3 Prozent aller Auszubildenden sind es bundesweit – und bei Homag sogar jeder fünfte. 

In China lernt sie Land und Leute ganz anders kennen als die Touristen

Denn das Unternehmen ist auf der ganzen Welt zu Hause: Verwurzelt in Schopfloch, hat das Maschinenbau-Unternehmen 14 Produktionsstätten sowie 23 Vertriebs- und Servicegesellschaften rund um den Globus. Homag ist Spezialist für Holzbearbeitungsmaschinen und Anlagen für die Möbel-Industrie.

Steffen Stippl koordiniert bei Homag das deutsche Ausbildungsnetzwerk. Und räumt gerne mit alten Klischees über die Berufsausbildung auf. „Viele denken noch, sie läuft streng nach dem Prinzip Vormachen und Nachmachen“, beschreibt er.

Dabei gehe es bei einer guten Ausbildung um sehr viel mehr: „Wir helfen den jungen Leuten auch bei der Entwicklung ihrer Persönlichkeit, wie ein Coach, der am Spielfeldrand steht.“ Das sei mindestens genauso wichtig wie das Fachliche. Das heißt: Man lernt zum Beispiel auch, wie man sich selbst Neues beibringen und in der Berufswelt zurechtfinden kann. „Gerade deshalb ist eine Zeit in einer fremden Umgebung so wertvoll“, sagt Stippl.

„Die chinesischen Kollegen waren sehr herzlich“

Tamara Lorenz erzählt: „Der erste Tag in Schanghai war ein ziemlicher Kulturschock!“ Das Gefühl der Unsicherheit sei aber schnell verflogen. „Die chinesischen Kollegen waren sehr herzlich, haben mich auch mal zu ihren Familien eingeladen und mir bei alltäglichen Dingen geholfen.“

Der Ausbildungsleiter war selbst früher mal zwei Monate für Homag in Barcelona, hat dort eine neue Systematik zur Auftragsbearbeitung eingeführt. Heute sind laufend mehrere seiner Schützlinge in der großen weiten Welt unterwegs, von Grand Rapids (USA) über die finnische Hauptstadt Helsinki bis zur Millionenstadt Bangalore in Indien. Das Unternehmen trägt die Kosten. Stippl unterhält sich mit den Reisenden regelmäßig per Skype: „Wie läuft’s? Braucht ihr Hilfe?“ Er habe auch schon erlebt, dass ausländische Werke den Nachwuchs aus Deutschland am liebsten gleich behalten hätten, berichtet Stippl lachend. „Da sind unsere Leute natürlich stolz wie Bolle.“

Arbeitgeber Homag bietet in der Ausbildung modernste Technologien

Immerhin, die Azubis und dual Studierenden sind bereits sehr früh mit modernsten Arbeitsweisen vertraut. „Zwischen Beginn und Ende einer Ausbildung hat sich die Welt ja schon weitergedreht“, erläutert der Ausbildungsleiter, „unser Nachwuchs muss also schon mit den Technologien der Zukunft lernen.“

So arbeiten die jungen Leute beispielsweise mit einer Ausbildungscloud, einem 3-D-Drucker, einem kollaborativen Roboter – und jeder gewerbliche Azubi bekommt ein Tablet. Die „Neuen“ werden bei Homag übrigens nicht nur nach den Schulnoten ausgewählt. Stippl: „Wichtig ist, dass sie Motivation mitbringen.“

Tamara Lorenz sattelt jetzt noch ein duales Studium obendrauf

Fast 300 Azubis und dual Studierende hat Homag derzeit in ganz Deutschland. Und während die einen gerade aus dem Ausland zurückkehren und von ihren Erlebnissen schwärmen, packen andere ihre Koffer – wie Patrik Krasniqi. Der angehende Mechatroniker geht im Oktober für einen Monat nach Barcelona. „Dort mache ich auch einen Spanisch-Kurs“, sagt er, und: „Ich bin schon gespannt, wie die Kollegen dort so arbeiten.“

Tamara Lorenz hat gerade die Abschlussprüfungen als Industriekauffrau hinter sich und sattelt gleich noch ein duales Studium bei Homag obendrauf, in der Fachrichtung Wirtschaftsingenieurwesen: „Ich habe mein Interesse für das Technische entdeckt und möchte mich hier weiterqualifizieren“, begründet die Industriekauffrau ihre Entscheidung. Die Homag-Welt sieht sie seit ihrem China-Abenteuer mit ganz anderen Augen: „Man bekommt dadurch ein viel größeres Verständnis für die globalen Zusammenhänge.“

Barbara Auer
aktiv-Redakteurin

Barbara Auer berichtet aus der aktiv-Redaktion Stuttgart vor allem über die Metall- und Elektro-Industrie Baden-Württembergs – auch gerne mal mit der Videokamera. Nach dem Studium der Sozialwissenschaft mit Schwerpunkt Volkswirtschaftslehre volontierte sie beim „Münchner Merkur“. Wenn Barbara nicht für aktiv im Einsatz ist, streift sie am liebsten durch Wiesen und Wälder – und fotografiert und filmt dabei, von der Blume bis zur Landschaft.

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