Bad Neustadt an der Saale. Gerade erst ist Hermann Bauer von einer Auslandsreise für die Firma zurück, jetzt tüftelt er mit jungen Kollegen wieder an der Entwicklung neuer Produkte für das Automotive-Unternehmen Jopp. Ein ganz normaler Job also. Nur, dass Hermann Bauer eigentlich schon im Ruhestand ist – und nun wieder arbeitet.
Vor zwei Jahren hatte er sich von der unterfränkischen Firma in Bad Neustadt verabschiedet, sich im Rentnerleben eingerichtet. Da kam der Anruf seines früheren Arbeitgebers: Ob er sich vorstellen könne, seine Expertise einzubringen? Bauer sagte zu: „Es hat mich stolz gemacht, dass mein Wissen noch gefragt ist.“
Jopp engagiert häufiger Rentner
Der 67-Jährige ist einer von mehreren Ruheständlern, die Jopp angeworben hat. „Einbindung von erfahrenen Kräften hat bei uns lange Tradition“, sagt Richard Diem, einer der drei Geschäftsführer des Familienunternehmens. Mitarbeiter, die das Renteneintrittsalter erreicht hatten, wurden bislang immer wieder mal für Projekte angeheuert. Doch angesichts des immer größer werdenden Fachkräftemangels, den auch das Unternehmen spürt, geht Jopp nun noch gezielter auf Rentnerinnen und Rentner zu.
Gefragt sind insbesondere Experten für Elektronik-Hard- und -Software, aber auch in der Verwaltung oder im Einkauf geben Ruheständler ihr Know-how weiter. Dafür hat Jopp eine große Kampagne gestartet – ebenfalls mit einem Senior: Geschäftsführer Dr. Hubert P. Büchs zog dafür symbolisch die Boxhandschuhe an und motiviert auf Plakaten und Anzeigen für ein aktives Leben im „Unruhestand“.
Davon haben sich bislang nicht nur ehemalige Jopp-Beschäftige ansprechen lassen. Auch Rentner anderer Firmen aus der Automobil-Branche sind dazugekommen.
Jeder vereinbart individuell, wie viel er arbeiten möchte
Aus Sicht von Personalleiter Stefan Knaier liegt das nicht zuletzt an den Aufgaben, die Jopp bietet: „Je nachdem, wie stark sich jemand einbringen möchte, sind Auslandsaufenthalte möglich. Oder man arbeitet an innovativen neuen Produkten der Firma mit.“
Wie viel die Ruheständler arbeiten, vereinbaren sie individuell. „Von Vollzeit bis einzelne Stunden pro Woche ist alles dabei“, so Knaier. Bauer hat sich für eineinhalb Tage die Woche entschieden – und genießt die Vorteile, die das Arbeitsleben bietet. Welche das sind? „Ganz klar, man hat im Job mehr soziale Kontakte“, sagt er. Und durch den Austausch mit jüngeren Kollegen bleibe er fit, auch was neue Fertigkeiten angeht.
Bauer gehört zu einem festen Team, mit dem er sein Wissen teilt. Das Durchschnittsalter bei den Entwicklern liegt bei Ende 30. Manchmal bereiten die Rentner fachliche Lektionen wie für eine Schulstunde vor. An anderen Tagen arbeiten sie als Team an der Lösung aktueller Probleme im Projekt, wobei jeder sein Know-how einbringt.
Die Rolle des Mentors gefällt Bauer: „Ich gehe heute viel entspannter an Aufgaben heran.“ Früher im Berufsleben habe er immer einen gewissen Druck verspürt, seinen Job gut zu machen. „Jetzt knie ich mich auch in die Arbeit, aber es hängt nicht alles von mir ab.“
Und was sagen die anderen Mitarbeitenden zu der Kampagne? „Die Resonanz ist äußerst positiv, sowohl innerhalb der Firma als auch außerhalb“, sagt Geschäftsführer Diem. Auch Personalleiter Knaier ist zufrieden: „Das ist eine klassische Win-win-Situation. Die Firma profitiert von erfahrenen Fachleuten. Und die Rentner bringen sich in spannenden Innovationsprojekten ein.“
Alix Sauer hat als Leiterin der aktiv-Redaktion München ihr Ohr an den Herausforderungen der bayerischen Wirtschaft, insbesondere der Metall- und Elektro-Industrie. Die Politologin und Kommunikationsmanagerin volontierte bei der Zeitungsgruppe Münsterland. Auf Agenturseite unterstützte sie Unternehmenskunden bei Publikationen für Energie-, Technologie- und Mitarbeiterthemen, bevor sie zu aktiv wechselte. Beim Kochen und Gärtnern schöpft sie privat Energie.
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