Mannheim/Stuttgart. Manchmal ist es lustig, wenn Ausbilder Peter Weinsheimer seinen fünf Schützlingen etwas erklärt, wie zum Beispiel das Wort „Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung“. „Das ist für die jungen Flüchtlinge ein Zungenbrecher“, sagt der erfahrene Ausbilder und lacht.

Im November starteten im John-Deere-Werk in Mannheim junge Geflüchtete eine Einstiegsqualifizierung, die auf eine Berufsausbildung vorbereiten soll. „Es ist jetzt der dritte Jahrgang, und es läuft immer besser mit der Sprache“, meint Weinsheimer. Denn diese jungen Männer sind seit 2015 in Deutschland und haben schon viel gelernt.

Doch es sind nicht nur komplizierte Wörter, die bei der Verständigung im Arbeitsalltag ein Hindernis sind. Auch die kulturellen Unterschiede führen manchmal zu Missverständnissen. So manches ist für Weinsheimer klarer, seit er im November an dem Seminar „Interkulturelle Kompetenz für Ausbilder“ teilgenommen hat. Initiiert hatten das die „Integrationslotsen“, ein Projekt des Arbeitgeberverbands Südwestmetall zur Integration von Flüchtlingen. Eingeladen hatte das Pharma-Unternehmen Roche.

Für Weinsheimer war das „eine tolle Möglichkeit, mich mit Ausbildern aus anderen Unternehmen auszutauschen“. Dabei hatte er einige „Aha-Erlebnisse“: zum Beispiel, wie es bei den Flüchtlingen ankommt, wenn der Meister mal „Nein“ sagt. Denn in vielen Ländern Afrikas und Arabiens ist das absolut tabu und kommt als massive Kritik an. „Umgekehrt ist es jedoch auch schwierig, wenn die Lernenden immer ,Ja‘ sagen und in Wahrheit gar nichts verstanden haben.“

Bei John Deere in Mannheim, wo rund 3.300 Mitarbeiter Traktoren bauen, gehören Migranten seit vielen Jahren einfach dazu – wie in den meisten Industriebetrieben. Dennoch betrete man mit den Flüchtlingen Neuland, meint Weinsheimer. Unter den fünf Praktikanten sind ein Syrer und ein Afghane, jedoch auch Jugendliche, die in Deutschland geboren sind und griechische oder türkische Wurzeln haben. Denn eines ist Weinsheimer wichtig: Praktikums- und Ausbildungsplätze für Flüchtlinge sind soziales Engagement des Unternehmens. Sie sind immer zusätzlich, niemand wird deshalb verdrängt.

Bei Lapp Kabel gibt es neun Nationalitäten unter den Azubis

Auch bei Lapp Kabel in Stuttgart hat man die Zahl der Ausbildungsplätze aufgestockt. In diesem Herbst begannen 23 Jugendliche eine Ausbildung, darunter 6 Flüchtlinge aus Afghanistan, Eritrea, dem Kosovo und Somalia.

Lapp-Ausbildungsleiter Thilo Lindner hat neun Nationalitäten unter seinen Azubis: „Das ist für alle im Betrieb eine Herausforderung“, sagt er. Deshalb bietet das Unternehmen interkulturelle Teamtrainings an, wo beide Seiten mehr Verständnis füreinander entwickeln sollen. Kürzlich fand an der hauseigenen Lapp-Akademie ein Workshop vom „Netzwerk Unternehmen integrieren Flüchtlinge“ statt, zu dem auch Personalverantwortliche anderer Unternehmen eingeladen waren. Geübt wurde etwa, sich in die Situation eines Neuankömmlings hineinzuversetzen, ebenso wie in die Sicht von langjährigen Mitarbeitern. Die Ausbilder sollten auch eigene Vorurteile reflektieren.

„Lapp ist als Unternehmen international unterwegs. Es ist deshalb wichtig, dass möglichst viele Nationen im Betrieb vertreten sind“, sagt Josef Holz, bei Lapp Geschäftsführer für kaufmännische Bereiche und Logistik: „Wir sollten froh sein über die Zuwanderung.“ Dabei gehe es nicht nur darum, den Bedarf an Fachkräften zu decken. „Wir profitieren von anderen Sichtweisen“, ist Holz überzeugt.

Wie schwierig es ist, als Außenstehender in eine neue Gruppe zu kommen und die Sprache nicht zu verstehen, hat John-Deere-Ausbilder Weinsheimer bei der zweitägigen Schulung in einer Übung selbst erfahren: „Die Praktikanten denken nicht sofort an Technik, wenn ich vom ‚Bohrfutter‘ oder vom ‚Haarlineal‘ rede.“

Interview

Bei der Verständigung kommt es nicht nur auf die Sprache an

Offenburg. Die Diplom-Betriebswirtin Sonja Saad ist Dozentin für interkulturelle Kompetenz an der Hochschule Offenburg. Im Gespräch mit AKTIV erklärt sie, warum Wissen über die verschiedenen Nationalitäten hilfreich ist und was die „Intergrationslotsen“ – ein Projekt des Arbeitgeberverbands Südwestmetall – bewirken können.

Viele Unternehmen bilden Flüchtlinge aus. Was ist dabei besonders zu beachten?

Zusätzlich zu den sprachlichen Hürden bringen diese Menschen ihren kulturellen Hintergrund mit. Dieser unterscheidet sich sehr stark von unserem und ist außerdem je nach Herkunftsland sehr unterschiedlich. Beispielsweise sind Gesellschaft und Bildungssystem in Syrien völlig anders als in Afghanistan. Ausbilder, die über diese Unterschiede informiert sind, können besser damit umgehen.

Können Sie das an einem Beispiel deutlich machen?

Eine große Herausforderung ist die indirekte Kommunikation. In den meisten Ländern Afrikas und des arabischen Raums nämlich gilt es als extrem unhöflich, „Nein“ zu sagen. Das wird umgangen und sehr indirekt ausgedrückt. Bei uns wiederum kommt das schnell als Unehrlichkeit an.

Manche Betriebe beklagen, es falle den Neuankömmlingen schwer, pünktlich bei der Arbeit zu erscheinen.

Ja, das hängt mit einem anderen Zeitverständnis zusammen. Pläne und Termine haben in Ländern wie etwa Afghanistan nicht die gleiche Bedeutung wie bei uns. Wer dort auf dem Weg zur Arbeit einen Freund trifft, nimmt sich Zeit für ein Gespräch mit ihm. Beziehungen sind dort wichtiger als das Einhalten von Terminen.

Und wie ist das Verhältnis zu den Ausbildern?

In vielen dieser Herkunftsländer spielen Hierarchien eine größere Rolle. Es ist dort unerwünscht, Rückfragen zu stellen, wenn man etwas nicht versteht. Jedoch scheitern nach meinen Erfahrungen die meisten Ausbildungen an der Berufsschule. Diese jungen Menschen sind es nicht gewohnt, sich so viel theoretisches Wissen anzueignen.

Sind kleine und mittlere Betriebe nicht überfordert mit solchen Schwierigkeiten?

Die Menschen sind lernfähig. Wenn wir unsere Sichtweisen erklären, verstehen sie das auch. Sehr hilfreich dabei ist das Südwestmetall-Projekt der „Integrationslotsen“. Diese begleiten den ganzen Prozess von der Bewerberauswahl über die Vorbereitung bis zur Ausbildung. Außerdem empfiehlt es sich, Ausbilder interkulturell zu schulen. Alle übrigen Mitarbeiter im Betrieb sollten zumindest mit eintägigen Veranstaltungen informiert werden. Diese Investition lohnt sich auch betriebswirtschaftlich. Denn Konflikte unter den Mitarbeitern oder ein Ausbildungs-Abbruch sind für die Unternehmen sehr teuer.

Manche Unternehmen sind der Ansicht, sie seien ausreichend geübt darin, Migranten zu integrieren. Schließlich gibt es seit Jahrzehnten unterschiedliche Nationalitäten in deutschen Betrieben.

Das stimmt. Jedoch hat man es damals, als die ersten „Gastarbeiter“ kamen, oft versäumt, diese Menschen und ihr Umfeld bei ihrer schwierigen Aufgabe zu unterstützen. Heute sollten wir auf den vergangenen Erfahrungen aufbauen und es besser machen. Dabei ist entscheidend, bei diesem Prozess alle mitzunehmen – also auch andere Nationalitäten, die schon sehr lange im Betrieb sind.

Beschäftigung von Geflüchteten

  • Unterschieden wird zwischen erstens Asylberechtigten oder anerkannten Flüchtlingen, zweitens Bewerbern im laufenden Asylverfahren und drittens Geduldeten nach erfolgter Ablehnung.
  • Die erste Gruppe, anerkannte Neuankömmlinge, hat uneingeschränkt Zugang zum Arbeitsmarkt. Sie dürfen eine Ausbildung aufnehmen oder einer Beschäftigung nachgehen ohne ausdrückliche Zustimmung der Bundesagentur.
  • Aktuell sind in Baden-Württemberg 50.400 solcher Bewerber bei den Arbeitsagenturen und Jobcentern gemeldet und werden in Praktika, Ausbildung oder Arbeit vermittelt.
  • Alle anderen, deren Verfahren noch laufen oder die bereits abgelehnt, jedoch geduldet sind, haben nach vier Monaten ebenfalls Zugang zum Arbeitsmarkt. Das kann ein Praktikum, eine Ausbildung oder eine Beschäftigung sein.
  • Allerdings ist dazu die Erlaubnis der Ausländerbehörde notwendig. Diese prüft die Aufenthaltspapiere und kann eine Ausbildungsduldung erteilen.
     

Weitere Informationen unter:suedwestmetall.de