Mainz. Lose Ziegel auf dem Dach, Moos auf den Stufen, wackeliges Geländer: kritisch! Hausbesitzer und Vermieter müssen solche Gefahren beseitigen – damit sich niemand verletzt. Das besagt die sogenannte „Verkehrssicherungspflicht“.  Danach muss jeder, der Gefahrenquellen schafft – indem er etwa ein Haus errichtet – Vorkehrungen zum Schutz Dritter treffen. Dritte, das sind zum Beispiel Mieter, Besucher und Personen, die das Grundstück berechtigterweise  betreten.

„Die Verpflichtung sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen“, sagt Ralf Schönfeld, Direktor des Eigentümerverbands Haus & Grund in Rheinland-Pfalz: „Als Hausbesitzer muss man seine Augen überall haben.“

Gehwege räumen ab morgens um 7 Uhr

Auch und vor allem im Winter, wenn Wege über Nacht zur glatten Rutschbahn werden. Hier gilt die Verkehrssicherungspflicht. Denn die meisten Städte und Gemeinden übertragen das Räumen und Streuen der Gehwege entlang des Grundstücks auf die Haus- und Grundstückseigentümer. Schönfeld: „Sie müssen dafür sorgen, dass niemand auf vereisten Wegen ausrutscht und sich womöglich ein Bein bricht.“

So sind Gehwege in der Regel zwischen 7 (an Sonn- und Feiertagen gegen 9) und 20 Uhr eis- und schneefrei zu halten. Doch die Schufterei mit der Schippe hat Grenzen: „Bei andauerndem Schneefall müssen Eigentümer nicht ständig fegen“, so der Experte. Es reiche, damit zu beginnen, wenn sich ein Ende des Schneefalls abzeichne.

Hobelspäne sind kein geeignetes Streumittel

Hobelspäne sind übrigens kein geeignetes Streumittel, da sie sich vollsaugen und somit keine abstumpfende Wirkung haben. Das hat das Oberlandesgericht Hamm im Prozess einer gestürzten Fußgängerin festgestellt. Da diese die erkennbar glatte Stelle betreten und somit nicht alle Maßnahmen zu ihrem Eigenschutz ergriffen habe, sei sie zur Hälfte für den Unfall mitverantwortlich (OLG Hamm, 24.11.2014, 6 U 92/12).

Häufig genutzte Fußgängerwege müssen geräumt werden, Alternativwege jedoch nicht. Eine Frau war gestürzt, nachdem sie eine Abkürzung über ein verschneites Grundstück genommen hatte. Ihr Pech. Nach Ansicht des Gerichts habe der Eigentümer für eine ausreichende Räumung der üblichen Verkehrswege gesorgt (OLG Koblenz, 2.10.2014, 1 U 210 /14.) Ähnlich lag ein Fall in Konstanz. Danach müssen Besucher und Postzusteller Eingang sowie Briefkasten

gefahrlos erreichen können. Parallel muss man aber nicht auch noch die Garageneinfahrt räumen, über die man ebenfalls zur Tür gelangen kann (OLG Karlsruhe, 15.2.2016, 9 U 108/14).

Freier Fluchtweg im Treppenhaus

Nicht nur zur Winterzeit, sondern rund ums Jahr haben Eigentümer im und am Gebäude eine ganze Reihe von Verkehrssicherungspflichten. Einmal im Jahr sollte beispielsweise das Treppenhaus vom Keller bis zum Dachboden begangen werden. Der Eigentümer muss dabei sicherstellen, dass die Fluchtwege frei, die Geländer fest und keine glatten Stellen am Boden vorhanden sind, auf denen jemand ausgleiten könnte. Werden die Stiegen per Zeitschaltung beleuchtet, muss das Licht so lange brennen, bis auch die Bewohner im obersten Stock sicher zu Hause angekommen sind.

Auch der Zugang zum Gebäude muss gefahrlos begehbar sein, so Verbandsjurist Schönfeld weiter. Lockere Trittplatten müssen fix ausgetauscht und feuchte Blätter und Moosbewuchs entfernt werden.

Lockere Ziegel nach dem Sturm entfernen

Besonders nach schweren Unwettern oder Stürmen empfehle sich ein prüfender Blick auf hohe Bäume: Droht ein Ast zu brechen oder wackelt gar der ganze Baum?  Auch auf dem Dach des Gebäudes sollte man nachschauen,ob dort noch alles festsitzt und keine Teile auf Hausbewohner oder Passanten herabstürzen können. „Ist ein Ziegel locker, sollten Sie diesen austauschen“, rät Anwalt Schönfeld. Ein weiterer Check gilt Schornstein, Dachrinne, Antennen und Satellitenschüssel sowie Solarpanelen, die ebenfalls außen an vielen Gebäuden installiert sind.

Im Garten warten noch mehr potenzielle Gefahrenstellen, die es zu sichern gilt: Zum Beispiel Regentonne und Gartenteich.Wer verhindern will, dass spielende Kinder hineinfallen, sollte diese Orte besser abdecken beziehungsweise einzäunen – und beim Pflanzen von Hecken rund ums Grundstück sicherheitshalber auf giftige Beeren verzichten. Die könnte sich schließlich jemand in den Mund stecken.

Und wie steht‘s mit dem Spielplatz, der zum Haus gehört? Auch den muss der Eigentümer prüfen: Rostet die Rutsche, hängt die Schaukel schief, liegen gar Glasscherben im Sandkasten? „Das alles sollte man regelmäßig kontrollieren“, rät Schönfeld „und die Prüfung am besten protokollieren.“ Denn spätestens dann, wenn es zu einem Schaden gekommen sei, müssten Verwalter oder Vermieter beweisen, dass sie ihrer Verkehrssicherungspflicht regelmäßig und sorgfältig nachgekommen seien.

Noch mal zurück zum Winter: Auch wer Pflichten wie das Schneeräumen an Dienstleister oder Mieter delegiert, ist nicht gänzlich aus dem Schneider. „Die Aufsichtspflicht über eine regelmäßige ordnungsgemäße Ausführung verbleibt auch in diesem Fall beim Vermieter“, betont der Verbandsjurist. „Das wissen viele nicht.“ Hat man einen professionellen Winterdienst beauftragt – etwa weil die betagten Mieter das Schneeräumen nicht mehr alleine bewältigen – muss der Eigentümer sich vergewissern, dass der Service auch ordnungsgemäß erledigt wird. Schönfeld: „Man muss aber nicht jeden Tag persönlich vorbeifahren und den Bürgersteig kontrollieren.“ Es genüge, sich von Zeit zu Zeit zu erkundigen.

Eine „Schneekarte“ hilft

Die Übertragung muss in jedem Fall rechtlich einwandfrei geregelt sein. In einem Mietshaus muss klar ersichtlich sein, welche Partei an welchem Termin für den Winterdienst zuständig ist. Das Oberlandesgericht Naumburg entschied, dass der Schadensersatzanspruch bei einer nicht eindeutigen Regelung am Vermieter hängen bleibt (OLG Naumburg, 27.2.2014, 2 U 77/13). Hier hilft eine Schneekarte. An wessen Tür sie hängt, der ist am nächsten Schneetag dran mit Räumen und Streuen. Danach wird sie an den nächsten Haushalt weitergegeben.

Stöckelschuh im Gitterrost

Trotz vieler Pflichten haften Eigentümer nicht für alle Eventualitäten. Die Verkehrssicherungspflicht hat auch Grenzen. So wollte beispielsweise die Besucherin einer Mieterin Schadenersatz, weil sie mit ihren Pumps in einem Gitterrost vor deren Wohnungstür hängen geblieben war. Wer mit hochhackigen Schuhen in einem Fußabtreter hängen bleibt und stürzt, ist selbst schuld, urteilte das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein und empfahl, mit solchem Schuhwerk „besser seitlich an dem Gitter vorbeigehen“ (OLG  Schleswig-Holstein, 6. 4.2017, 11 U 65/15).

In einem Fall aus dem niedersächsischen Lingen appellierten die Richter ebenfalls an umsichtiges, an die Situation angepasstes Verhalten: Nach einem Elternabend war die Hauptbeleuchtung auf dem Schulgelände ausgefallen. Eine Besucherin der Veranstaltung kam auf der unbeleuchteten Treppe zu Fall. Schuld hatte jedoch nicht die Schule, sie habe die Stufen durch eine Laterne grundsätzlich ausreichend beleuchtet. Vielmehr hätte sich die Klägerin sorgsamer verhalten, angesichts der Dunkelheit langsam vortasten und gegebenenfalls die Handytaschenlampe einschalten müssen (OLG Oldenburg, 7.5.2018, 4 U 1/18).

Ohne Schmerzensgeld endete auch ein Fall in Bayern. Weil die Sonne sie blendete, war eine Frau im Tierpark München gegen die Panzerglasscheibe des Giraffengeheges gelaufen und hatte sich das Nasenbein geprellt. Glasscheiben zur Trennung von Wildtieren und Besuchern seien für den durchschnittlichen Besucher zu erwarten, urteilte das Amtsgericht (AG München, 21.12.2017, 158 C 7965/17). Zudem finde sich im Eingangsbereich des Zoos der eindeutige Hinweis, man dürfe „nicht an die Scheiben klopfen“.

Beckenbruch im Münchner Nobelklub „P1“

Einer Besucherin des Münchner Edelklubs „P1“ hatte nach einem schmerzhaften Beckenbruch dagegen in zweiter Instanz Erfolg.  Die heute 28-Jährige hatte im Außenbereich des Klubs gefeiert und war auf einen Bar-Tresen geklettert, um Fotos zu machen. Dieser war jedoch nur mit schwarzem Stoff bespannt, der nachgab. Aus Sicht der Richter hätte der Klub im Sinne der Verkehrssicherungspflicht vermeiden müssen, dass die Gäste überhaupt auf die Bar klettern. In einem Klub, wo betrunken getanzt werde, herrsche eine „erhöhte Gefahr zu sorglosem Verhalten“ unter den Gästen. Die Klubgängerin trägt dennoch eine Mitschuld von 20 Prozent, es wurde ein Vergleich über 10.000 Euro Schmerzensgeld geschlossen.

Sturz in offene Luke im Modegeschäft 

Zugunsten einer Klägerin entschied auch das Oberlandesgericht Hamm. In einem Modegeschäft in Bielefeld stand während der Geschäftszeiten eine Luke im Fußboden des Verkaufsraums offen. Eine Kundin stürzte beim Shoppen in den knapp ein mal zwei Meter großen Schacht in den Bügelkeller, brach sich Arm und Bein. Die geöffnete Luke stelle eine überraschende Gefahrenquelle dar, mit der man keinesfalls rechnen müsse, so die Richter (OLG Hamm, 9.1.2018, 9 U 86/17) – klare Verletzung der Verkehrssicherungspflicht.

Friederike Storz
aktiv-Redakteurin

Friederike Storz berichtet für aktiv aus München über Unternehmen der bayerischen Metall- und Elektro-Industrie. Die ausgebildete Redakteurin hat nach dem Volontariat Wirtschaftsgeografie studiert und kam vom „Berliner Tagesspiegel“ und „Handelsblatt“ zu aktiv. Sie begeistert sich für Natur und Technik, Nachhaltigkeit sowie gesellschaftspolitische Themen. Privat liebt sie Veggie-Küche und Outdoor-Abenteuer in Bergstiefeln, Kletterschuhen oder auf Tourenski.

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