Die schlechte Nachricht gleich vorweg: Nicht jede Verspätung des Zugs berechtigt gleich zu einer Entschädigung. Dabei kommt es etwa auf die Dauer des Verzugs an, welche Art Ticket man nutzt sowie auf den Grund für die Verzögerung. Denn etwa bei ermäßigten Fahrscheinen wie dem Deutschlandticket gelten zum Teil andere Regeln als bei einer Beförderung zum regulären Fahrpreis.
Überregionale Fahrten: Entschädigung ist abhängig von der Verspätung
Im Fernverkehr muss der Verzug grundsätzlich mindestens 60 Minuten betragen, um die Entschädigung verlangen zu können, erklärt Detlef Neuß, Bundesvorsitzender des Fahrgastverbands Pro Bahn in Mönchengladbach. Dann können sich Fahrgäste 25 Prozent des Fahrpreises zurückerstatteten lassen. Lässt der Zug sogar zwei Stunden auf sich warten, haben die Reisenden Anspruch auf 50 Prozent der Ticketkosten. Ausnahme: Liegt der Erstattungsbetrag unter der Bagatellgrenze von 4 Euro, entfällt die Auszahlung.
Wer ein günstiges Ticket mit Zugbindung gebucht hatte, etwa den Supersparpreis oder den Sparpreis, darf bei Anschlussverlust außerdem anstatt des verspäteten einen anderen Zug Richtung Fahrziel nehmen: „Dafür ist es nicht nötig, sich die Verspätung vom Bahnpersonal bestätigen zu lassen“, sagt Neuß. Hier heißt die Devise: „Einfach einsteigen!“ Kunden mit Flexpreis-Ticket ohne Zugbindung können ohnehin jeden anderen Zug anstatt des avisierten nehmen.
Termin verpasst: Eine Erstattung des kompletten Fahrpreises ist möglich
Wird bei Verbindungen mit Umsteigen der letzte Zug bis zum Fahrtziel nicht mehr erreicht, dürfen die Reisenden entweder auf Kosten der Bahn die letzte Etappe mit dem Taxi zurücklegen oder eine Übernachtung im Hotel wählen: „Hiervon muss jedoch die kostengünstigere Lösung genommen werden.“ Und würde man wegen der Verspätung einen Termin verpassen und die Fahrt dadurch überflüssig, kann man sie abbrechen und sich den Fahrpreis komplett erstatten lassen; das gilt auch wenn der Bahnverkehr eingestellt wird.
Verspätung im Nahverkehr: Es gelten unterschiedliche Regeln
Bei Zügen des Nahverkehrs sind die Fahrgastrechte unterschiedlich geregelt, so Neuß. Grund: Dort sind verschiedene Verkehrsverbünde tätig. In Nordrhein-Westfalen etwa greift ab einer 20-minütigen Verspätung des Nahverkehrszugs die Mobilitätsgarantie – dann können die Reisenden alternativ auch einen (teureren) Fernverkehrszug anstatt des Nahverkehrszugs nutzen, also in den Intercity oder ICE einsteigen. Die dabei entstehenden Mehrkosten werden erstattet. Aber auch andere Reisemittel können stattdessen gewählt werden, etwa ein Taxi oder Carsharing-Wagen. Auch die Kosten hierfür werden uneingeschränkt übernommen.
Genau hinsehen bei ermäßigten Tickets wie dem Deutschlandticket
Doch aufgepasst: Diese Rechte gelten nur bei regulär bepreisten Fahrscheinen und nicht für sogenannte besonders ermäßigte Tickets, zu denen beispielsweise das Deutschlandticket zählt sowie das Schöne-Wochenende- oder Länderticket. Die Möglichkeit, kostenfrei auf einen Fernverkehrszug auszuweichen, besteht hier nicht. Laut Neuß gewähren zwar viele Verkehrsverbünde beim Deutschlandticket dieselben Kundenrechte wie bei regulären Nahverkehrstickets, doch sollte man das am besten vorher überprüfen, wenn man nicht riskieren möchte, auf den zusätzlichen Kosten sitzenzubleiben: „Darüber kann man sich auf den Webseiten der Verkehrsverbünde informieren.“
Höhere Gewalt: Da ist die Deutsche Bahn fein raus
In manchen Fällen ist die Bahn jedoch auch von Regressansprüchen befreit: Dies ist dann der Fall, wenn die Verspätung oder der Zugausfall wegen höherer Gewalt im Sinne der europäischen Fahrgastrechteverordnung zustande kommt. „Höhere Gewalt liegt zum Beispiel vor, wenn Dritte in den Bahnverkehr eingreifen, also etwa Personen im Gleis sind oder Kabel entwendet werden. Auch bei außergewöhnlichen Wetterverhältnissen kann höhere Gewalt vorliegen.“ Letzteres gilt jedoch nicht uneingeschränkt: „Bei einem starken Herbststurm oder Schnee und Eis im Winter muss die Bahn für daraus resultierende Verspätungen oder Zugausfälle geradestehen.“
Denn auf jahreszeitlich übliche Wetterverhältnisse muss sie sich einstellen und entsprechende Maßnahmen ergreifen. Kommt es aber mitten im Hochsommer zu einem ungewöhnlich heftigen Sturm, kann der dann als höhere Gewalt eingestuft werden, mit der Folge, dass Kunden für daraus resultierende Verspätungen keinen Regress verlangen können. In manchen Fällen zeigt sich die Bahn jedoch kulant, so Neuß: „Bei Ausfällen und Verspätungen, die durch Dritte verursacht werden, zahlt sie in der Regel die Rückerstattung, auch wenn sie dazu nicht verpflichtet ist.“
Streiks sind keine höhere Gewalt
Hat die Bahn die Gründe für die Verspätungen und Ausfälle selbst zu vertreten – zum Beispiel, weil zu wenig Personal anwesend ist oder wegen technischer Probleme –, kann sie sich grundsätzlich nicht auf höhere Gewalt berufen. Auch Verspätungen und Ausfälle wegen Streiks fallen nicht unter höhere Gewalt. Hier muss die Bahn für Verspätungen und Ausfälle geradestehen.
Wer einen Erstattungsanspruch bei der Bahn geltend machen will, hat dazu drei Monate Zeit. Dies geht sowohl online – entweder über die App „DB Navigator“ oder im Internet auf Bahn.de – als auch in Papierform per Formular, erklärt Neuß. Wird diese Frist verpasst, können Fahrgäste den Antrag natürlich trotzdem stellen und auf Großzügigkeit vonseiten der Bahn hoffen. Und kommt es in einem Streitfall zu keiner Einigung zwischen Bahn und dem Kunden, kann die Schlichtungsstelle öffentlicher Personenverkehr SÖP weiterhelfen: soep-online.de
Waltraud Pochert hat bei aktiv vor allem Verbraucherthemen aus dem Bereich der privaten Finanzen sowie Recht und Steuern im Blick. Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre in Köln startete sie ihre berufliche Laufbahn bei einem großen Wirtschaftsmagazin, bevor sie als freie Journalistin tätig wurde. In ihrer Freizeit ist sie gern sportlich unterwegs, vor allem mit dem Fahrrad.
Alle Beiträge der Autorin