Berlin. In vielen Ballungsgebieten sind die Wohnungsmieten explodiert. Wer noch etwas verhältnismäßig Günstiges gefunden hat, zieht kaum noch freiwillig aus. „Solange man regelmäßig seine Miete zahlt und sich ordnungsgemäß verhält, kann der Vermieter einen unbefristeten Mietvertrag praktisch nicht kündigen“, erklärt Jutta Hartmann, Juristin beim Deutschen Mieterbund.
Eigenbedarf gibt es nur bei Privatpersonen
Doch keine Regel ohne Ausnahme, weiß die Expertin: „Hat der Vermieter ein berechtigtes Interesse an der Wohnung, ist eine Kündigung möglich, zum Beispiel bei Eigenbedarf.“ Eigenbedarf bedeutet, dass der Vermieter die Wohnung selbst benötigt, entweder für sich, für Familienmitglieder oder für Personen, die zu seinem Haushalt gehören, beispielsweise ein Pflegekind, ein Au-pair oder auch die Pflegekraft, die sich um die alte Mutter des Vermieters kümmert.
Dabei gilt ein wichtiges Detail. „Eigenbedarf gibt es nur bei Privatpersonen, nicht bei Wohnungsbaugesellschaften und ähnlichen Unternehmen“, erklärt Hartmann. Wurde eine Eigenbedarfskündigung im Mietvertrag wirksam ausgeschlossen, muss sich der Vermieter natürlich daran halten. Doch solche Mietverträge sind nur sehr selten, denn für den Vermieter ist eine solche Regelung ein Nachteil.
Seit einiger Zeit konstatiert der Mieterbund einen deutlichen Anstieg der Beratungen und Prozesse bei Vermieterkündigungen. „Das ist nur die Spitze des Eisbergs, denn viele Fälle landen ja nicht bei unseren Beratern oder vor Gericht“, so die Juristin. Die Dunkelziffer ist also deutlich höher. Kein Wunder: Zum einen trifft die Wohnungsnot natürlich auch den Vermieter selbst, beispielsweise wenn ein Familienmitglied umzieht. Zum anderen versuchen einige Vermieter natürlich auch, Mieter loszuwerden, um die Immobilie anderweitig lukrativer zu nutzen. Damit eine Kündigung wegen Eigenbedarf rechtens ist, müssen allerdings viele Dinge stimmen. Gekündigte Mieter sollten sich deshalb unbedingt beraten lassen.
Begründung in der Kündigung notwendig
„Der Vermieter muss im Kündigungsschreiben mit vernünftigen, nachvollziehbaren Gründen darlegen, warum welche Person ernsthaft in die Wohnung einziehen will“, erklärt Hartmann. Ein solcher Grund wäre beispielsweise, dass die Tochter eine Bleibe benötigt, weil sie vor Ort mit dem Studium beginnt.
Dabei ist es grundsätzlich erst einmal egal, ob die Bude hinsichtlich Lage, Größe usw. angemessen ist. Der Vermieter darf für seine studierende Tochter also auch eine Vier-Zimmer-Wohnung in bester Lage beanspruchen. Trotzdem gibt es Grenzen, beispielsweise wenn ein arbeitsloser Bruder angeblich ein 200-Quadratmeter-Haus mit Pool benötigt. „In solchen extremen Fällen müssen die Gerichte entscheiden, ob der Eigenbedarf tatsächlich besteht oder nur vorgeschoben ist“, sagt Hartmann.
Lügen gilt nicht
Ist alles nur Lüge, muss der Vermieter dem zu Unrecht gekündigten Mieter Schadenersatz zahlen oder ihn möglicherweise sogar wieder in die Wohnung einziehen lassen. „Allerdings muss man die Täuschung beweisen, und genau das ist das Problem“, so die Erfahrung der Juristin. Selbst wenn die Wohnung nach dem Auszug längere Zeit leer steht oder wieder neu an Fremde vermietet wird, ist das nämlich noch kein Beweis. Schließlich könnte die Tochter ja ihre Berufswahl geändert oder sich mit ihren Eltern verkracht haben.
„Ist der Eigenbedarf schon beim Abschluss des Mietvertrags absehbar, muss der Vermieter den Mieter entsprechend informieren“, sagt Hartman. So weit die Theorie. Blöd nur, dass der Vermieter nicht verpflichtet ist, über die nächsten Tag hinaus zu planen, im Juristendeutsch „keine Bedarfsvorschau treffen“ muss. Das hat der Bundesgerichtshof entschieden (BGH VIII ZR 154/14, Urteil vom 4.2.2015). Selbst wenn die Tochter beim Vertragsabschluss also gerade Abitur gemacht hat, kann der Vermieter also behaupten, dass das Studium so noch nicht geplant war.
Freie Wohnungen
Macht der Vermieter Eigenbedarf geltend, obwohl in seinen Häusern andere Wohnungen leer stehen, darf er nur kündigen, wenn er begründen kann, warum es trotzdem unbedingt ausgerechnet die Wohnung des Mieters sein muss. Okay wäre es beispielsweise, wenn die freie Wohnung unterm Dach für die kranke Mutter nicht rollstuhlgerecht ist, die Erdgeschosswohnung des Mieters jedoch schon. „In diesem Fall muss der Vermieter dem gekündigten Mieter aber die leer stehende Wohnung anbieten“, sagt Hartman.
Kündigungsfristen bei Eigenbedarf
Selbstverständlich kann der Vermieter auch bei Eigenbedarf nicht Knall auf Fall kündigen. Die Kündigungsfrist hängt von der Dauer des Mietverhältnisses ab. Sie beträgt laut Gesetz mindestens drei Monate, nach fünf Jahren sechs Monate und nach acht Jahren sogar neun Monate. „Man darf im Mietvertrag keine kürzeren Fristen festlegen. Sind für die Vermieterseite jedoch längere Fristen vereinbart, gilt die längere Frist“, erläutert Hartman.
Bei der Berechnung der Frist zählt der laufende Monat nur dann mit, wenn das Kündigungsschreiben bis zum dritten Werktag (!) des Monats beim Mieter eingegangen ist. Geht das Schreiben beispielsweise am 3. März ein, kann der Vermieter frühestens zum 31. Mai kündigen, geht es dagegen am 6. März ein, erst zum 30. Juni.
Wird die Wohnung während der Mietzeit in eine Eigentumswohnung umgewandelt und dann verkauft, haben die Mieter einerseits ein gesetzliches Vorkaufsrecht und andererseits einen zusätzlichen Schutz, die sogenannte Kündigungssperrfrist. Danach darf der Käufer drei Jahre lang nicht kündigen, zum Beispiel wegen Eigenbedarf. Die Bundesländer können diese Frist in besonders gefragten Städten auf bis zu zehn Jahre verlängern.
Widerspruchsrecht
In dem Schreiben muss der Vermieter auch darauf hinweisen, dass der Mieter ein Widerspruchsrecht hat. Dann muss der Mieter spätestens zwei Monate vor Ablauf der Kündigungsfrist schriftlich Widerspruch einlegen. Kündigt der Vermieter also beispielsweise zum 30. Juni, muss der Mieter bis zum 30. April dagegen angehen.
„Fehlt in dem Kündigungsschreiben der entsprechende Hinweis, kann der Mieter sogar noch in letzter Sekunde vor Gericht Widerspruch einlegen“, sagt Hartman. Grundsätzlich muss der Vermieter die Räumung der Wohnung nämlich vor Gericht einklagen, darf also nicht einfach die Möbelpacker vorbeischicken.
Bevor man gegen die Kündigung angeht, sollte man sich unbedingt beraten lassen. Ist der Eigenbedarf des Vermieters nämlich tatsächlich berechtigt, hat man in der Praxis kaum eine Chance, die Wohnung zu behalten. Einzige Ausnahme: Die Kündigung stellt eine „besondere Härte“ dar, wie Juristen das nennen.
Typische Gründe dafür wären beispielsweise ein hohes Alter, Krankheit, Schwangerschaft, Verwurzelung in der Nachbarschaft oder auch die Unmöglichkeit, eine angemessene Ersatzwohnung zu finden. „Je nach Einzelfall bekommt der Mieter dann einen Aufschub oder darf sogar dauerhaft in der Wohnung bleiben“, sagt Hartman. Bleibt der Vermieter stur, müssen aber auch hier die Gerichte entscheiden.
Silke Becker studierte Soziologie, BWL, Pädagogik und Philosophie. Seit ihrem Abschluss arbeitet sie als Redakteurin und freie Journalistin. Außerdem hat sie mehrere Bücher veröffentlicht. Am liebsten beschäftigt sie sich mit den Themen Geld, Recht, Immobilien, Rente und Pflege.
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