Carl-Friedrich Kaehlert ist kein Freund großer Worte. „Wir hatten gut zu tun.“ Mit diesen knappen Worten bilanziert er seine rund 35 Arbeitsjahre auf der Neptun Werft in Rostock. Fast genauso viele Jahre liegen diese inzwischen zurück.

Der frühere Schiffskonstrukteur erinnert sich noch gut an den Tag, als er 1984 mit 65 Jahren in Rente ging. „Da hatte ich genug von der Arbeit“, sagt er – und fügt mit dem verschmitzten Lächeln eines 100-Jährigen hinzu: „Heute werden Fachleute im Schiffbau gesucht und möglichst lange im Job gehalten.“

Zeitungslektüre hält ihn auf dem Laufenden

Aus der täglichen Zeitungslektüre, die ein modernes Lesegerät ermöglicht, weiß er um die aktuellen Fachkräfte-Probleme in der Branche. Auch dass es im deutschen Marineschiffbau derzeit mächtig hakt.

Im Dezember 2019 feierte der rüstige Rentner das dreistellige Geburtstagsjubiläum. „Ich war seit drei Jahren der erste Hundertjährige im Haus“, so Kaehlert.

Abordnung der Werft gratulierte zum 100. Geburtstag

Entsprechend groß fiel der Gratulationsreigen für den Jubilar in der Seniorenresidenz im Rostocker Stadtteil Lütten-Klein aus. Auch eine kleine Abordnung der Neptun Werft war gekommen, um den wohl ältesten Ex-Mitarbeiter des traditionsreichen Schiffbaubetriebs an der Warnow zu ehren.

Mehr als 1.500 Schiffe wurden auf der Neptun Werft gebaut

Von den vielen wechselvollen Kapiteln in der langen Geschichte der Neptun Werft, die im Jahr 1850 entstand und seit der Gründung über 1.500 Schiffe baute, hat Carl-Friedrich Kaehlert eines der historisch markantesten mitgeprägt.

Ein echter Hamburger Jung

Der 1919 geborene Kaehlert ist ein echter Hamburger Jung. Erstaunlich detaillierte Erinnerungen an Kindheit und Jugend ranken sich entlang des Osterbek-Kanals im Stadtteil Barmbek, wo er aufwuchs und wo viel Fußball gespielt wurde, mitten auf der Straße.

„Da kam am Tag höchstens ein Auto vorbei, aber dafür dreimal ein Polizist, der uns wegjagte.“ Einen bedrohlich langen Schlagstock habe dieser bei sich getragen. Kaehlerts rechte Hand streift am rechten Schenkel bis hinunter über das Knie.

Als Schiffsartillerist auf der „Admiral Scheer“

Später absolviert er in der Hamburger Repsoldstraße eine vierjährige Maschinenschlosser-Lehre in einer Firma, die Paternoster und Rolltreppen baute. Doch anders als von seinem Vater gewünscht, ging er danach nicht aufs Technikum, sondern zur Marine.

1936 heuerte er als Schiffsartillerist auf der „Admiral Scheer“ an, ein Schwesterschiff der legendären „Admiral Graf Spee“. Kaehlert deutet mit den Händen einen Kreis von der Größe eines Suppentellers an. „28 Zentimeter“, sagt er. „So einen Durchmesser hatten die Granaten der zwei Drillingsgeschütze, mit denen das Schiff ausgestattet war.“

Von West- nach Ostdeutschland übergesiedelt

Noch vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs lernte er seine spätere Ehefrau Irma kennen, die aus der Nähe von Bad Sülze in Mecklenburg stammte. „Wir haben uns zum ersten Mal an einer S-Bahnstation unweit der Rothenbaumchaussee getroffen.“

Ihr folgte er in den Nachkriegswirren über die Zonengrenze in den Osten. Auf der Suche nach Arbeit wurde er in der Rostocker Neptun Werft vorstellig. Diese war nach 1945 in eine Sowjetische Aktiengesellschaft (SAG) umgewandelt worden. Kaehlert: „Der Werkleiter, ein Russe, hat mich dann gleich in die Bauaufsicht gesteckt.“

Der Arbeitgeber sorgte für eine Wohnung

Damals wurde der Schiffbaubetrieb wie viele andere Produktionsstätten in Ostdeutschland für Reparationsleistungen an die Siegermacht UdSSR herangezogen. „Zuerst haben wir Pontons gebaut und Hebeschiffe, später folgten Logger für die Fischerei“, erinnert sich Kaehlert.

Das größte Glück für ihn und Ehefrau Irma war jedoch die Zuweisung einer Wohnung in Rostock durch den Arbeitgeber. Keine Selbstverständlichkeit, denn Wohnraum war sehr knapp. Drei Kinder zogen sie hier groß.

Viele Schiffe für einen Hamburger Reeder gebaut

Anfang der 50er Jahre zog sich das russische Management zurück, und aus der Neptun Werft, die 1851 mit der „Erbgroßherzog Friedrich Franz“ Deutschlands ersten eisernen Schraubendampfer gebaut hatte, wurde ein „Volkseigener Betrieb“ (VEB).

Nun setzte ein intensiver Schiffsneubau ein, denn die ebenfalls volkseigene Deutsche Seereederei (DSR) wuchs rasant und benötigte zahlreiche neue Frachtschiffe. Bald schon gingen aber auch Aufträge aus dem Nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet (NSW) ein, wie man den Westen damals nannte. Viele davon kamen aus Hamburg, von der Reederei Barthold Richters.

Schiffbau wie am Fließband

„Richters-Schiffe mit 5.000 bis 10.000 Tonnen Tragfähigkeit haben wir beinahe wie am Fließband produziert.“ Kaehlerts Augen strahlen noch heute, wenn er davon erzählt.

Die bis 1979 existierende Reederei war das erste westdeutsche Unternehmen, das Neubauten bei der Neptun Werft bestellte. Insgesamt 40 Schiffe lieferte der Betrieb im Laufe der Zeit an die Richters-Reederei ab.

Baupläne entstanden damals noch am Reißbrett

Sie alle trugen auch die ingenieurtechnische Handschrift von Carl-Friedrich Kaehlert, denn nach einem Maschinenbaustudium in Warnemünde und Wismar arbeitete er als Gruppenleiter in der Schiffskonstruktion. Damals entstand jeder Bauplan noch am Reißbrett. Eine aufwendige und filigrane Arbeit, die Kaehlert „viel Spaß gemacht hat“.

Viele Details waren zu beachten. Stressig wurde es nur, wenn Reeder mit irgendwelchen Extrawünschen um die Ecke kamen. Umso erhebender war jedes Mal der Augenblick, wenn die kompletten Unterlagen weitergereicht werden konnten.

„Hauptsache, wir wurden die Schiffe los“

Er habe nie an irgendwelchen Schiffen besonders gehangen, räumt Kaehlert unumwunden ein, um mit norddeutsch trockenem Humor hinzuzufügen: „Hauptsache, wir wurden die Schiffe los. Das nächste wartete schon darauf, konstruiert zu werden.“

Dann aber erwähnt er doch legendäre DDR-Fährschiffe wie die alte „Sassnitz“, die „Rügen“ und „Warnemünde“. Sie liefen allesamt bei Neptun vom Stapel und verbanden viele Jahre die andere deutsche Republik mit Skandinavien.

Die Produktion war straff organisiert

Schiffe von der Neptun Werft in der DDR wurden geschätzt. Für planwirtschaftliche Verhältnisse lief die Produktion straff organisiert.

Daran trug nach Ansicht von Schiffskonstrukteur Kaehlert der langjährige Werftdirektor Kurt Dunkelmann großen Anteil. Ein Unikat in der Branche. Er lenkte von 1959 bis 1974 die Geschicke des Betriebs.

Der Werftchef arbeitete zuvor als Schauspieler

Zuvor hatte sich der gelernte Schiffbauer als Schauspieler in etlichen DEFA-Spielfilmen wie „Schlösser und Katen“ verdingt, nach seiner Ära bei Neptun verfasste er mehrere niederdeutsche Bücher.

DDR-typisch ging es beim Bau der Schiffe dennoch zu. „Brauchten wir zum Beispiel ein spezielles Hydraulik-Ventil, reisten wir manchmal tagelang durch die Republik. Meist erbarmten sich die Hersteller, wenn für sie einige Urlaubsplätze in den Neptun-Ferienheimen an der Ostsee heraussprangen.“ Meister im Improvisieren seien sie gewesen, sagt Kaehlert und lacht verwegen.

1997 stieg die Papenburger Meyer Gruppe ein

Nach der Wiedervereinigung habe er die Entwicklung der Werft eine Weile in der Presse verfolgt. „Ich war auch mal am neuen Standort in Warnemünde“, erzählt Kaehlert, „und habe mir angeschaut, wie Schiffe am Computer konstruiert werden.“

Seit 1997 gehört das Unternehmen zur Papenburger Meyer Gruppe und baut in erster Linie Flusskreuzfahrtschiffe und Maschinenraum-Module für Kreuzfahrtschiffe. Kaehlert: „Ich höre, die Kollegen haben gut zu tun. Das freut mich sehr.“