Hannover. Bei Frank Pitzke hängen die Fehler an der Wand. Diese Potenziale seiner Abteilung werden täglich erfasst und anschaulich als Säulendiagramm neben seiner Bürotür ausgehängt – offene Fehlerkultur wörtlich genommen. Direkt beim Aushang ist auch der „Meeting Point“, an dem sich das Team zu Besprechungen trifft.

In einem Monat gibt es 20 Fehler, in einem anderen nur 10. Bei 1.300 ausgelieferten Artikeln pro Tag nicht besorgniserregend – für Pitzke ist es trotzdem zu hoch: „Wenn wir Fehler vermeiden wollen, dann müssen wir offen darüber sprechen.“ Seit 20 Jahren arbeitet der 47-Jährige beim Gabelstaplerhersteller Toyota Material Handling in Isernhagen bei Hannover. Er weiß, es bringt nichts, Mitarbeiter für Missgeschicke zu rügen.

Pitzke geht Problemen lieber auf den Grund. So wie bei einem jungen Mitarbeiter, dem plötzlich ungewöhnlich viele Schnitzer unterliefen. Der Kollege las auf dem Bestellschein oft die Nummern falsch: „Zum Beispiel ‚15 O‘ statt ‚15 0‘.“ Pitzke fand den Grund: Der Kollege trug einfach seine Brille nicht mehr, weil sie ihn auf der Nase drückte. Inzwischen trägt der 26-Jährige sie wieder – und ist heute Spätdienstleiter im Unternehmen. Er durfte aus seinen Fehlern lernen. Selbstverständlich ist das nicht.

Pannen sind ein Hinweis auf schlechten Zustand

Eine Studie der Uni Hohenheim ergab: 75 Prozent der Deutschen würden einem Gescheiterten eine zweite Chance gönnen, aber nicht einmal die Hälfte würde sie ihm selbst gewähren. Zudem verschweigen viele Arbeitnehmer Missgeschicke aus Angst vor Konsequenzen – so eine Umfrage des Beratungsunternehmens Rundstedt. „Die Angst vor Fehlern ist weitverbreitet“, sagt der Lüneburger Professor und Fehlerexperte Michael Frese. „Viele Manager konzentrieren sich darauf, sie um jeden Preis zu vermeiden.“

Es herrscht die Meinung: Fehler dürfen erst gar nicht passieren. Wenn doch, greift immer dieselbe Strategie: einen Schuldigen suchen. Vor lauter Angst werde oft übersehen, dass Fehler vor allem ein Hinweis auf einen schlechten Zustand sind. Wer das erkenne, könne Ressourcen sparen und Mitarbeiter motivieren.

Erkannt hat das die MTU Maintenance Hannover in Langenhagen. Hier werden die Antriebe großer Flugzeuge instandgesetzt. Vor zehn Jahren ergab eine Umfrage des Qualitätsmanagements: Kaum ein Mitarbeiter hatte Hemmungen, Fehler zuzugeben. „Auf den ersten Blick erfreulich“, sagt Klaus Lemmer, Chef des Qualitätsmanagements. Doch Mitarbeiter monierten, Fehlerquellen würden selten beseitigt.

Also musste ein neues System her. Denn bei der MTU kann die kleinste Unachtsamkeit schon Tausende von Euro kosten. Seit zehn Jahren füttern die Mitarbeiter also das firmeneigene Meldesystem mit Irrtümern, pro Jahr sind es bis zu 1.400. Übersteigen die Kosten pro Fall 5.000 Euro, geht es an die Ursache. „Wir fragen nicht, warum hast du das falsch gemacht, sondern wie können wir dich unterstützen“, erklärt Lemmer.

Dabei hilft die Methode 5-Why oder 5W, die im Qualitätsmanagement gängig ist. Die Antwort auf die erste Frage impliziert die nächste und so weiter. Die Idee dahinter ist, so lange nachzuhaken, bis der Keim der Störung identifiziert ist. „Unsere Erfahrung zeigt, dass wir spätestens nach dem fünften Warum die Lösung haben“, sagt Lemmer.

Durch dieses Fehlermeldesystem sind die Störungen bei MTU um 60 Prozent gesunken. Die positiven Effekte einer offenen Fehlerkultur sind sogar wissenschaftlich belegt. „Unternehmen sparen im Schnitt 20 Prozent der Kosten“, erläutert Experte Michael Frese.

Auch die Säulendiagramme in Frank Pitzkes Ersatzteilelager bei Toyota Material Handling sind mit den Jahren kleiner geworden. Dennoch weiß Pitzke: „Fehler wird es immer geben. Irren ist eben menschlich.“