Berlin/Aachen. Ein schwarzes, glänzendes Violoncello lehnt an Clara Evers’ Schulter. Mit dem Bogen streicht die 22-Jährige sanft über die Saiten des Instruments. Damit entlockt sie dem bauchigen Korpus, unter dessen transparentem Lack statt einer Holzmaserung eine Faserstruktur schimmert, einen tiefen, weittragenden Ton.

„Genau dieser Klang und die etwas andere Art des Spielens haben mich sehr neugierig auf das supermoderne Cello gemacht“, erklärt Evers. Sie ist Studentin für Bauingenieurwesen an der RWTH Aachen. Schon seit ihrem vierten Lebensjahr spielt sie Cello. Kennt man da das Instrument nicht in- und auswendig? „An sich schon“, sagt Evers, „aber das hier ist eben etwas Besonderes: Das ganze Violoncello ist aus Carbonfaser.“ Genauer: aus kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff, kurz CFK.

Hightech-Instrumente auf der Polit-Fashion-Night

Mit dem speziellen Instrument spielt Evers seit vergangenem Jahr im „Carbon-Quartett“ der Hochschule. „Als mein Konzertmeister mir den Vorschlag machte, damit zu spielen, habe ich sofort zugesagt“, so Evers. Seitdem bringt sie mit drei anderen Musikern Carbon zum Klingen – zuletzt Anfang Juni auf der Polit-Fashion-Night des Branchenverbands textil + mode in Berlin: „Wir haben dort vor 300 Gästen gespielt, im Saal und auch im Freien. Die Instrumente haben den Klang viel stärker getragen als so manches traditionelle Holzinstrument“, sagt Evers begeistert. So könne man problemlos live spielen, ohne dass technische Unterstützung notwendig sei. Für die Cellistin, bei der zu Hause natürlich auch ein Violoncello aus Holz steht, ein klarer Vorteil: „Kein klassischer Musiker will seine Musik technisch unterstützt hören.“

Dass Evers überhaupt auf dem Hightech-Instrument spielen kann, ist Hans-Christian Früh vom Institut für Textiltechnik der RWTH zu verdanken. Der gelernte Raumfahrtingenieur und Cellist entwickelte zusammen mit dem Instrumentenbauer Mezzo-forte aus Werther zunächst einen Carbon-Kontrabass.

Der Kontrabass ist mit etwa 1,90 Meter Länge der Riese unter den Streichinstrumenten. „Das war auch das Problem“, so Früh, „ein normaler Kontrabass ist nur schwer zu transportieren.“ Die praktische Lösung: eine Trennstelle zwischen Hals und Korpus, die ebenfalls aus Carbon gefertigt ist. „Da es sich also um einen einheitlichen Werkstoff handelt, konnten klangliche Veränderungen vermieden werden“, erklärt Früh. So lässt sich der Kontrabass auf ein praktisches Packmaß von 1,20 Metern schrumpfen – wieder zusammengesetzt ist er dann schnell einsatzfähig.

Das Carbon-Cello darf nicht leichter sein als die Holzvariante

Auch das Carbon-Cello stammt von dem westfälischen Instrumentenbauer Mezzo-forte. Was Evers daran ebenfalls sehr schätzt: „Weil das Carbon nicht auf Feuchtigkeit oder Temperaturunterschiede reagiert, verstimmen sich die Saiten nicht. Der Ton bleibt gleichmäßig.“

Und das Gewicht? Evers trägt jedes Mal sechs Kilo zu ihren Auftritten. Geht es nicht leichter?!

Schließlich gilt der steife Faserverbundwerkstoff ja als Leichtgewicht etwa für den Auto- oder Flugzeugbau

„Unsere Carbon-Instrumente sind genauso schwer wie Holzinstrumente.“ Hintergrund: Über das Gewicht, das für die Resonanz im bauchigen Korpus der Streichinstrumente sorgt, entwickeln sich Klang und Tiefe der Töne.

Diese wird man schon im September wieder prominent hören. Dann spielt das Quartett auf der Generalversammlung der Cematex in Hamburg, einer Vereinigung mehrerer Verbände europäischer Textilmaschinen-Hersteller.

Auf Dauer hat Evers mit ihrem Carbon-Instrument ein ehrgeiziges Ziel: „Klanglich mehr rauszuholen, als es bei einem Holzinstrument möglich ist.“

Nachgefragt

Wie kamen Sie zum Spielen?

Ich spiele seit meinem vierten Lebensjahr Cello und bin nun auch im Hochschulorchester der RWTH Aachen. Im Carbon-Quartett spiele ich seit seiner Gründung im letzten Jahr.

Was reizt Sie am meisten?

Aus dem Instrument immer noch etwas mehr herauszuholen. Besonders beim Carbon-Violoncello interessiert mich schon, wie weit ich gehen kann.

Worauf kommt es an?

Auf das Zusammenspiel im Quartett – und den Mut, sich auf Neues wie Carbon einzulassen.

Anja van Marwick-Ebner
aktiv-Redakteurin

Anja van Marwick-Ebner ist die aktiv-Expertin für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie. Sie berichtet vor allem aus deren Betrieben sowie über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach der Ausbildung zur Steuerfachgehilfin studierte sie VWL und volontierte unter anderem bei der „Deutschen Handwerks Zeitung“. Den Weg von ihrem Wohnort Leverkusen zur aktiv-Redaktion in Köln reitet sie am liebsten auf ihrem Steckenpferd: einem E-Bike.

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