Berlin. Es sind ungewöhnliche Zeiten – auch für die Tarifparteien: Über die Löhne für so viele Menschen nur virtuell verhandeln? Kaum vorstellbar!
Und so war vieles anders als sonst in der ersten Verhandlungsrunde für die Papier, Pappe und Kunststoff verarbeitende Industrie: Man traf sich persönlich – aber in deutlich kleinerem Kreis als sonst. Und mit strengen Schutzmaßnahmen – Corona-Tests waren für alle acht Teilnehmer Pflicht. Zwischen den Gesprächen holten sich die Vertreter des Arbeitgeberverbands HPV wie auch der Gewerkschaft Verdi in internen Videokonferenzen Feedback von weiteren Tarifexperten.
„Abschlussnahes Angebot“ der Arbeitgeber
Ungewöhnlich dann auch, dass der HPV schon zum Auftakt 2,1 Prozent mehr Entgelt anbot. Dies sei ein „abschlussnahes Angebot“, sagte Verhandlungsführer Jürgen Peschel. Man strebe eine rasche Einigung an.
Er erinnerte daran, dass die Tariflöhne zuletzt im Frühjahr 2020 trotz der Krise um 2,7 Prozent gestiegen waren. Da die Inflation im Jahresschnitt dann nur bei 0,5 Prozent lag, „hatten die Arbeitnehmer ein echtes Plus im Geldbeutel“, so Peschel. Für die von Verdi erhobene Lohnforderung – 4,8 Prozent – gebe es „keine plausible Begründung.“
Heterogene Branche: Wirtschaftliche Lage der Unternehmen in der Papierverarbeitung ist sehr verschieden
Auch in einem Instagram-Interview erinnerte Peschel erneut an die „sehr heterogene Struktur“ der Branche: Es gebe durchaus Unternehmen, die „leidlich über die Runden gekommen sind“ – andere „stehen wirklich mit dem Rücken zu Wand“.
Die Lage der Papierverarbeitung insgesamt analysiert eine neue Kurzstudie aus dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Demnach schwankte der Auftragseingang im Lauf des Jahres 2020 extrem, ließ aber unter dem Strich zu wünschen übrig.
Vor allem aber ist die Produktion seit 2018 wieder rückläufig. Folge: 2020 lag die Produktion der Papierverarbeitung um rund 7 Prozent niedriger als im Jahr 2010.
Auffallend: Produktivität je Stunde ist im Schnitt leicht gesunken
„Auffallend ist, dass die Produktivität in den letzten Jahren auch je Stunde gerechnet leicht rückläufig war“, heißt es in der IW-Studie. „Eine Erklärung könnte sein, dass die optimalen Losgrößen in der Produktion geringer werden und dadurch häufigere Umrüstungen anfallen.“ Möglicherweise würden die Betriebe auch personalintensiver produzieren: „Das würde bedeuten, dass die Arbeitskosten für die Wettbewerbsfähigkeit an Relevanz gewinnen.“
Trotz eines offenbar durchaus konstruktiven Verhandlungsklimas gab es erwartungsgemäß bei diesem ersten Treffen noch keine Einigung. „Der HPV muss sein Angebot deutlich nachbessern“, verlangte Andreas Fröhlich, der neue Verdi-Verhandlungsführer. Was bisher auf dem Tisch liege, sei „weder ein Dankeschön noch drückt es Wertschätzung für die Beschäftigten aus“. Eine ökonomische Begründung für die hohe Lohnforderung blieb Verdi allerdings erneut schuldig.
Papierverarbeitung: Noch keine Einigung in der Tarifrunde
Unerwartete Zuspitzung in den Tarifverhandlungen für die Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitende Industrie: Die Arbeitgeber legen ein verbessertes Angebot vor – daraufhin bricht die Gewerkschaft die Verhandlungen kurzerhand ab.
Zuvor hatte man sich in Berlin schon rund sechs Stunden lang ausgetauscht, erneut in coronabedingt kleinem Kreis. Die vierte Verhandlungsrunde soll nun erst mit deutlichem Abstand stattfinden, am 26. März.
Eine lange Laufzeit kann den Unternehmen mehr Planungssicherheit geben
Zentraler Streitpunkt ist offenbar die Laufzeit des neuen Tarifvertrags. Die Unternehmen wollen in diesen unsicheren Zeiten wenigstens beim Lohn eine solide Kalkulationsgrundlage haben. Daher strebt der Arbeitgeberverband HPV eine möglichst lange Laufzeit an (wie sie in dieser Branche auch durchaus üblich ist). Der HPV hat nun angeboten, die Löhne um 2,4 Prozent zu erhöhen, in zwei Stufen und bei einer Laufzeit von 24 Monaten. Die von der Gewerkschaft Verdi geforderte kurze Laufzeit von nur zwölf Monaten „ist für den Planungshorizont in den Betrieben völlig unzureichend“, betont der Verband, was „aus weiten Teilen der Unternehmen gespiegelt wurde.“ Verdi wiederum will nach eigenen Angaben „in dieser unsicheren Zeit auf Sicht fahren und den Tarifvertrag nur für einen überschaubaren Zeitraum abschließen“. Eine ökonomische Begründung dafür liefert Verdi nicht.
„Unser verbessertes Angebot bedeutet für unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein sicheres Lohnplus bereits im laufenden Jahr“, stellt HPV-Verhandlungsführer Jürgen Peschel fest. Anders als in anderen Branchen sehe das Angebot eine tabellenwirksame Erhöhung in diesem Sommer vor. Dass Verdi sich verweigere, inhaltlich darüber zu verhandeln, sei „völlig unverständlich“ – zumal man sich zur dritten Verhandlungsrunde „ohne zeitliche Beschränkung und mit dem Ziel einer Einigung“ getroffen habe. Für Peschel ist klar: „Alle Fakten sprechen dafür, den Beschäftigten und den Unternehmen schnellstmöglich Planungssicherheit zu verschaffen.“
Thomas Hofinger schreibt über Wirtschafts-, Sozial- und Tarifpolitik – und betreut die Ratgeber rund ums Geld. Nach einer Banklehre sowie dem Studium der VWL und der Geschichte machte er sein Volontariat bei einer großen Tageszeitung. Es folgten einige Berufsjahre als Redakteur und eine lange Elternzeit. 2006 heuerte Hofinger bei Deutschlands größter Wirtschaftszeitung aktiv an. In seiner Freizeit spielt er Schach und liest, gerne auch Comics.
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