Herford. Vier Augen sehen mehr als zwei – besonders, wenn ein Augenpaar auf 30 Jahre Berufserfahrung zurückblickt. Das gehört Hartmut Barth.
Der Maschinenführer bei Eratex im westfälischen Herford weist gerade seinen jungen Kollegen Dennis Wesselmann am Spannrahmen ein: „Da muss alles stimmen. Nur so können beim Beschichten genau die richtigen Eigenschaften entstehen“, sagt Barth und deutet auf das Gewebe. Dampfend steigt es auf einer Rolle gezogen aus der Anlage empor.
Nässegrad, Temperatur, Zugkraft – für all das muss Wesselmann, der eigentlich Kfz-Mechaniker gelernt hat, noch ein Gefühl und den richtigen Blick entwickeln: „Ich beobachte und lerne jeden Tag hinzu“, sagt der 23-Jährige. Er arbeitet erst seit Juli bei dem Hersteller von textilen Schleifmittelträgern und gilt noch als Neuling. Know-how-Transfer vom Erfahrenen zur Nachwuchskraft – darauf setzt das 140-Mann-Unternehmen seit der Firmengründung vor gut 150 Jahren. So geben die Herforder ihr über Jahrzehnte entstandenes Spezialwissen weiter.
Immer geht es darum, die optimale Haftung zwischen dem textilen Kern und der aufgetragenen Bekörnung für den Schliff von Holz- oder Metalloberflächen zu finden. Geschäftsführer Oliver Jackl: „Wir packen nicht eben mal etwas Chemie ins Gewebe, sondern schnüren ein Gesamtpaket für unsere Kunden.“
Die sitzen hauptsächlich in der europäischen Bau- und Möbel-Industrie und rüsten ihre Schleifwerkzeuge mit den textilen Trägern aus Westfalen aus. Sie brachten Eratex letztes Jahr fast 27 Millionen Euro Umsatz, mehr als 70 Prozent davon stammen aus dem Export. Hartmut Barths schneeweiße Gewebebahn liegt inzwischen in der Beschichtungsabteilung. Dort werden Harze oder Kunststoffe in bis zu vier Arbeitsgängen aufgetragen, um für verschiedene Schleifwerkzeuge die textile Grundlage zu schaffen.
Oberflächen mit Diamanten besetzt
Sie steckt später etwa im Schleifband des Handwerkers, in der Flächenschleifscheibe des Metallers, der Schweißnähte poliert. Oder im diamantenbesetzten Schleifwerkzeug für härteste Oberflächen.
Die Herforder verarbeiten im Jahr über 15 Millionen Quadratmeter Textilien – Baumwolle oder Polyester, in 1.300 Beschichtungs- oder Imprägnierungsvarianten. Stets abgestimmt auf den jeweiligen Einsatz.
„Auch der Stoff selbst soll künftig mehr Eigenschaften erhalten“, sagt Jackl. An solchen Neuentwicklungen wird auch Dennis Wesselmann arbeiten. Gut, dass er auf das Wissen seiner Kollegen zugreifen kann.
Anja van Marwick-Ebner ist die aktiv-Expertin für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie. Sie berichtet vor allem aus deren Betrieben sowie über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach der Ausbildung zur Steuerfachgehilfin studierte sie VWL und volontierte unter anderem bei der „Deutschen Handwerks Zeitung“. Den Weg von ihrem Wohnort Leverkusen zur aktiv-Redaktion in Köln reitet sie am liebsten auf ihrem Steckenpferd: einem E-Bike.
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