Tübingen. Eigentlich dürften Klima-Aktivisten nur weiße T-Shirts tragen. Denn bunte und besonders die beliebten schwarzen Shirts sind für die Umwelt kritisch: „Beim Färben braucht man in der Regel zehn, elf Nachwaschzyklen, bis das Wasser klar bleibt“, erklärt Annegret Vester. Die Chemikerin ist beim Spezialchemie-Unternehmen CHT in Tübingen für die Strategie und das New Business Development verantwortlich. Und treibt Nachhaltigkeit voran, damit man zum Beispiel Textilien oder Papier umweltfreundlicher herstellen kann.

80 Prozent des Umsatzes aus nachhaltigen Produkten

Bis 2025 sollen rund 80 Prozent des Umsatzes mit nachhaltigen Produkten erfolgen, so sieht es die ehrgeizige „Strategy 2025“ vor, die sich an den „Sustainable Development Goals“ der UN ausrichtet. Darüber hinaus ist die CHT bestrebt, weltweit auch nachhaltig zu produzieren. „Das ist ein Kraftakt“, weiß Vester. „Weltweit gelten für unsere Produktionen und Produkte die gleichen Bedingungen und Standards, auch in unseren Gesellschaften in den Ländern, wo es keine oder andere gesetzliche Rahmenbedingungen gibt.“

Es geht um Standorte und Arbeitsplätze

Zur Nachhaltigkeitsstrategie gehört für sie mehr als Umweltschutz: „Es geht auch um Standortsicherung und Arbeitsplätze. Wir dürfen nicht dahin auslagern, wo die Produktion vielleicht einfacher ist. Wir müssen gute Ideen für die ganze Welt entwickeln.“ Das Vorgehen ist überall gleich. Erfüllt ein Produkt die Richtlinien nicht, wird an der Rezeptur geschraubt: Man tauscht Zutaten aus oder entwickelt ein Alternativprodukt mit denselben oder besseren Eigenschaften.

So lassen sich T-Shirts jetzt schon bei 60 Grad statt wie früher bei 100 Grad Celsius färben. Die neuen Farbstoffe ziehen schneller an der Faser auf – und zwar so gut, dass man mit Unterstützung des richtigen Nachseifmittels die Anzahl der Nachspülzyklen halbieren kann. „Das spart im gesamten Färbeprozess rund ein Drittel Wasser, 20 Prozent Strom und ordentlich Zeit“, versichert Vester.

Ein weiteres Beispiel ist die Papierverarbeitung: „Zellstoff wird zu großen Ballen gepresst und mit viel Energieaufwand und Wasser wieder vermahlen. Wir haben einen enzymbasierten Prozess entwickelt, der das Mahlen unterstützt“, so Vester. 2020 ließen sich mit diesem Verfahren 113.000 Megawattstunden Strom einsparen, so viel wie der Jahresverbrauch von 17.000 Menschen.

Faser, Farbe, Ausrüstung – alles muss abbaubar sein

Die Kreislaufwirtschaft will das Unternehmen mit recyclingfähigen oder biologisch abbaubaren Produkten unterstützen: Für biologisch abbaubare Textilien müssen zum Beispiel nicht nur die Fasern für den Prozess geeignet sein, sondern auch der Farbstoff und die Ausrüstung.

Zusammen mit einem Discounter wird jetzt ein biologisch abbaubares Textildrucksystem entwickelt: So wird PVC-haltige Siebdruckfarbe auf Sicht überflüssig. Und für recyclingfähige Textilien hat CHT einen Weichmacher im Sortiment, der auf recyceltem Silikonöl basiert: Der Rohstoff dafür kommt aus Produktionsabfällen Silikon verarbeitender Betriebe. Nachhaltigkeit ist für Vester eine Herzensangelegenheit: „Unsere Welt gibt es nur einmal!“

Andrea Veyhle
Autorin

Nach dem Germanistik- und Anglistik-Studium absolvierte Andrea Veyhle ein Volontariat und arbeitete für eine Agentur. Seit 2007 ist sie freiberuflich für verschiedene Verlage tätig. Für aktiv berichtet sie in Reportagen über die Chemie in Baden-Württemberg und stellt mit Porträts die vielseitigen Berufsbilder der Branche vor. Außerdem erklärt sie, wo uns chemische Produkte im Alltag begegnen. In ihrer Freizeit experimentiert sie gerne in der Küche, Kalorien strampelt sie auf dem Rennrad wieder ab.

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