Der Streik als ultimatives Mittel zur Lösung des Tarifkonflikts leitet sich aus der grundgesetzlich geschützten Tarifautonomie ab. Ein Arbeitskampf darf nur der letzte Ausweg sein, um nach Ablauf der Friedenspflicht und nach dem Scheitern aller ernsthaften Verhandlungsbemühungen doch noch eine Lösung zu finden. Gerade weil dieses Instrument so scharf ist, muss es verantwortungsvoll genutzt werden.

Es ist gut, sich diesen Grundsatz in Erinnerung zu rufen. Denn in unserer Metall- und Elektro-Industrie dürfte es zu Arbeitsniederlegungen kommen, sofern nicht bis Ende Oktober ein Ergebnis in der Tarifrunde 2022 vorliegt.

Jede Menge Belastungen

Keine leichte Aufgabe in diesem Herbst der Multi-Krisen: Die Kostenexplosion bei Energie und Material ist längst nicht ausgestanden, trotz verzögert greifendem Gaspreisdeckel und möglicher weiterer staatlicher Hilfen. Andere Betriebe können trotz gut gefüllter Auftragsbücher ihre Produktion nicht hochfahren, weil die Fachkräfte fehlen, von den Lieferkettenproblemen ganz zu schweigen. Und wieder andere schließen ihre Werke zumindest zeitweise, weil die Herstellung sich zu den vereinbarten Konditionen nicht mehr lohnt.

In dieser schwierigen Zeit die Arbeit für Stunden oder ganze Tage ruhen zu lassen, kann schnell Millionenkosten verursachen, etwa wenn Fertigungsprozesse aus dem Zeitplan geraten, Liefertermine kippen und Konventionalstrafen drohen oder wenn Geschäftsbeziehungen zerbrechen und der Kunde zur ausländischen Konkurrenz wechselt.

Diesmal steht viel auf dem Spiel

Wer zu Streiks aufruft, muss abwägen: Richten sie in dieser Zeit womöglich so viel Schaden an, dass manche Betriebe sich selbst moderate Lohnabschlüsse im Flächentarifvertrag nicht mehr leisten können?

Anders gefragt: Provozieren überhöhte Lohnforderungen, unterstützt durch schmerzhafte Streiks, nicht gerade das, was die Gewerkschaft als „Tarifflucht“ beklagt? Steht am Ende gar die Existenz vieler Betriebe und ihrer Arbeitsplätze auf dem Spiel?

Es geht in diesem Krisenherbst um gelebte Verantwortung für die Zukunft des Industriestandorts Norddeutschland – seiner Beschäftigten und seiner Betriebe.