Berlin. Trautes Heim, Glück allein? Stimmt schon. Nur muss man’s auch bezahlen können. Und genau das wird in Deutschland gerade immer schwieriger: Egal ob bauen, renovieren oder mieten, wohnen ist hierzulande zum teuren Gut geworden! Okay, denkt man sich: Dann muss gebaut werden, was das Zeug hält. Problem: Das Gegenteil ist der Fall!

Grund dafür ist ein fataler Vierklang. Da ist zum einen eine hohe Nachfrage nach Wohnraum. Dann die gleichzeitig schnell und stark gestiegenen Zinsen. Nummer drei: explodierende Baukosten. Und obendrauf: immer mehr Vorschriften und Auflagen. All das verteuert das Bauen dramatisch. Folge: Investoren halten sich zurück. Und die Baufirmen, jahrelang ausgelastet, schauen entsetzt auf leere Auftragsbücher – und denken sogar über Kurzarbeit oder Betriebsschließungen nach.

Dem Wohnungsbau droht ein regelrechter Absturz

„Diese brisante Mischung hat es so in Deutschland noch nie gegeben“, warnt Professor Dietmar Walberg, Chef des Wohnungs- und Bauforschungsinstituts ARGE. Das gesamte System stehe derzeit an einem Kipppunkt. „Wenn jetzt nichts passiert, dann erleben wir beim Wohnungsbau keine Talfahrt, sondern einen regelrechten Absturz.“

Die folgenden Texte beleuchten die Zusammenhänge.

Wohnungsnot: In Deutschland steigt die Bevölkerungszahl – aber das Bauvolumen sinkt

400.000 neue Wohnungen pro Jahr – das ist das Ziel der Bundesregierung. Aber laut Zentralverband des deutschen Baugewerbes sind im vergangenen Jahr gerade einmal 280.000 neue Wohnungen fertiggestellt worden. Im laufenden Jahr könnte die Zahl gar auf 240.000 sinken. Problem: Das rückläufige Bauvolumen trifft auf immer größeren Bedarf. Laut Online-Portal Immoscout24 stieg die Nachfrage nach Bestandsmietwohnungen seit 2019 deutschlandweit um 30 Prozent. Ein Grund: die Zuwanderung. Im vergangenen Jahr war der Wanderungssaldo mit 1,45 Millionen Menschen deutlich positiv. Für diese Menschen wird ebenfalls Wohnraum gebraucht – aber gerade eben nicht gebaut. Auch weil die staatliche Wohnungsbauförderung derzeit nahezu zum Erliegen gekommen ist. 

Das alles erhöht den Druck auf die Mieten, insbesondere in Ballungsgebieten. So stiegen die Mieten für Bestandswohnungen in München binnen eines Jahres um 12 Prozent, in Berlin um 15 Prozent. Neubauten wurden in Stuttgart gar um 19 Prozent teurer.

Lösungsansatz: „In Metropolregionen müssen wir jeden Quadratmeter nutzen, um umzubauen und Dachaufstockungen voranzutreiben“, so ARGE-Professor Dietmar Walberg. Zudem müssten nicht mehr genutzte Flächen, Büro- und Gewerbeimmobilien zu bezahlbaren Wohnungen umgebaut werden.

Fachkräfte: Droht dem Bau der „Gastro-Effekt“?

Das Baugewerbe ist ein Jobmotor – bislang. In den letzten 13 Jahren schufen die Baufirmen 200.000 neue Jobs. Ein Zuwachs von 30 Prozent. Gerade aber ist Krise angesagt! „Schon im letzten Jahr sind die Aufträge im Wohnungsbau um 16,5 Prozent zurückgegangen“, sagt Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe. „Und im Januar waren es dann bereits 30 Prozent weniger Aufträge.“

Deshalb bibbert die Branche vor dem „Gastro-Effekt“: Wenn jetzt Beschäftigung abgebaut werden muss, kommen die Leute kaum zurück, wenn’s wieder besser läuft. Laut dem Verbändebündnis Wohnungsbau steht die Branche daher vor einer Zäsur. Professor Dietmar Walberg befürchtet gar „eine lawinenartige Entwicklung, die dazu führen wird, dass wir in wenigen Jahren gar nicht mehr in der Lage sein werden, die erforderliche Zahl von Wohnungen zu bauen“. Dann wird es schwierig, die Bevölkerung mit benötigtem Wohnraum versorgen zu können.

Lösungsansatz: Die Branche ruft nach 50 Milliarden Euro Fördermitteln für den sozialen Wohnungsbau bis 2025. Dazu regen Experten die gezielte Förderung von Arbeitsmigration sowie den Ausbau der Ausbildungskapazitäten an.

Baukosten: Wer soll das denn noch bezahlen?

Ist Bauen so teuer, dass bald kaum noch gebaut werden kann? Eine aktuelle Befragung im Auftrag des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen legt diesen Schluss nahe. Demnach wollen 43 Prozent der befragten Baufirmen im laufenden Jahr keine einzige neue Wohnung mehr bauen. Grund: Die Kosten sind so hoch, dass sie nur mit astronomischen Mieten wieder reingeholt werden könnten.

Zum einen verteuern immer neue, immer kompliziertere Auflagen das Bauen hierzulande. Und auch das Material kostet immer mehr. So hat sich Flachglas beispielsweise im Jahresverlauf um 50 Prozent verteuert. Stabstahl um 40 Prozent. Spanplatten um 30 Prozent. Bankkredite? Viermal so teuer wie noch vor zwei Jahren. Laut Statistischem Bundesamt lag der Baupreisindex im ersten Quartal 2023 im Vergleich zum Basisjahr 2015 um fast 60 Prozentpunkte höher! Das Ergebnis: Ein einziger Quadratmeter Wohnraum schlägt nach Berechnungen der ARGE aktuell im Median inklusive Grundstück mit über 5.000 Euro zu Buche! Für Investoren bedeutet das: Sie müssten Mieten von gut 20 Euro pro Quadratmeter verlangen. Nur: Wo sind die Mieter, die das zahlen können und wollen?

Lösungsansatz: Fachleute fordern eine Neufestlegung der Baustandards, um die Kosten zu drücken. Beispiel: In Innenstadtlagen sind oft Tiefgaragen vorgeschrieben. Mehrkosten pro Quadratmeter Wohnfläche: 490 Euro!

Komplizierte Gesetze: Sozialer Wohnungsbau dauert doppelt so lange wie noch vor Jahren

Auch immer neue und höhere bürokratische Hemmnisse lassen die Zahl der Bauvorhaben einbrechen. Wie der Wust an Bauvorschriften, die auch noch von Bundesland zu Bundesland verschieden sind. So ist etwa die Mindesthöhe von Balkongeländern durchaus unterschiedlich.

Das ist nicht so lustig, wie es klingt. Weil es beispielsweise landesweit tätige Fertighausfirmen gewaltig nervt. „Und es treibt die Kosten weiter in die Höhe“, sagt Michael Voigtländer, Immobilienexperte beim Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Mehr als 3.000 Normen sind beim Wohnungsbau in Deutschland zu berücksichtigen. Es gibt fünf Gebäudeklassen.

Dazu immer wieder neue Vorschriften: von energetischen Gebäudestandards über Schallschutzanforderungen bis hin zur Qualität der Außenanlagen. Im Schnitt dauert es laut Wohnungswirtschaft fünf Jahre, bis beispielsweise ein Bauprojekt im sozialen Wohnungsbau fertiggestellt ist. Doppelt so lange wie noch 2014.

Lösungsansatz: Einfacher bauen, aber technisch sicher! In den Niederlanden oder Frankreich ist das längst so. Positiv: In Bayern wurde zuletzt der neue, simplere „Gebäudetyp E“ beschlossen, mit dem man die Kosten massiv drücken will.

Ulrich Halasz
aktiv-Chefreporter

Nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann studierte Uli Halasz an drei Universitäten Geschichte. Ziel: Reporter. Nach Stationen bei diversen Tageszeitungen, Hörfunk und TV ist er jetzt seit zweieinhalb Dekaden für aktiv im Einsatz – und hat dafür mittlerweile rund 30 Länder besucht. Von den USA über Dubai bis China. Mindestens genauso unermüdlich reist er seinem Lieblingsverein Schalke 04 hinterher. 

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