Plettenberg. Heiße Eisen anzupacken ist für Emrah Ayhan, Mehmet Altinsoy und Oliver Beck kein Problem. Die drei sind ein eingespieltes Team. Ayhan nimmt das auf 1.200 Grad erhitzte Stahlstück mit den Zangen auf, drückt es im Stauchwerkzeug vor und reicht es an Altinsoy weiter. Der positioniert es in der Vorgravur. Mehrmals schlägt das Obergesenk des Schmiedehammers auf den glühenden Rohling und treibt das Material im Gesenk. Dann übernimmt Beck. Er legt das Teil in die Fertiggravur ein und schmiedet es aus.
Zehn Kilo werden da jedes Mal bewegt, es rumst gewaltig, Funken sprühen – die Männer machen bei Wilhelm Schulte-Wiese (WSW) einen harten Job. Und einen mit Verantwortung. An diesem Tag produzieren sie Herzstücke für die Kupplungen im ICE – da hängen Menschenleben dran. Auf die Fertigung solcher Teile ist die Plettenberger Gesenkschmiede spezialisiert.
40 Prozent der Schmiedeteile sind für den Bergbau bestimmt
„Wo extreme Festigkeit gefordert ist, gibt es keine Alternative zum Schmieden“, sagt der technische Geschäftsführer Cengiz Tezsoy. Rund 3.000 Tonnen Stahl werden jährlich in Stücke zwischen 1 und 125 Kilogramm geschnitten und zu Teilen für die Bahntechnik, für Maschinenbau und Nutzfahrzeuge sowie den Bergbau verarbeitet.
„Viele erschrecken, wenn sie hören, dass 40 Prozent unserer Produkte in den Bergbau gehen“, sagt Geschäftsführer Philipp-André Klever: „Aber es ist ein gutes Geschäft, das wieder anzieht.“ Die Mitnehmer, Kratzer und Meißel für den Strebbau unter Tage sind in China, Australien und Amerika gefragt. „30 bis 40 Jahre ist das sicher noch ein Markt.“ Eine lange, aber überschaubare Zeit.
Anhängerkupplungen für Fahrradträger gehören ebenso zum Sortiment
Das kleine Unternehmen im Oestertal ist also gut beraten, mehrere Eisen im Feuer zu haben. Es setzt unter anderem auf Mobilität. Dazu gehören die Bahntechnik, aber auch Anhängerkupplungen. „Ein großer Trend, weil Fahrradträger draufmontiert werden“, sagt Klever. 30.000 Stück werden aktuell geschmiedet, weitere Aufträge stecken in der Pipeline. „Wir rechnen mit perspektivisch 70.000 bis 100.000 Teilen im Jahr.“
Es ist das einzige Seriengeschäft der Gesenkschmiede, alles andere ist projektgebunden. Mit der durchschnittlichen Stückzahl von 250 bedienen die Plettenberger Nischen. Und das erfolgreich, das Unternehmen wächst. Gerade wurde im Werkzeugbau eine zweite Bearbeitungsanlage in Betrieb genommen, um die Kapazitäten zu erhöhen.
Rund 50 Teile werden jährlich entwickelt. Von der Konstruktion inklusive Computersimulation bis hin zum Bau der tonnenschweren Gesenke und der umfassenden Materialprüfung übernehmen alles die erfahrenen Mitarbeiter im Betrieb. Doch Qualität allein reicht nicht, sagt Geschäftsführer Klever.
Messebesuche in Übersee, Nutzung von Social-Media-Kanälen
Die Zeiten, in denen die Aufträge von allein kamen, seien längst vorbei. „Wir sind verstärkt im Ausland unterwegs und greifen Felder an, die bisher nicht auf dem Plan standen.“ Neue Wege im Marketing sind gefragt, wie Messebesuche in China, Australien und Amerika, die Nutzung von Social-Media-Kanälen oder ein Corporate Design. So schmückt das rote Firmenlogo samt Internetadresse auch die Übersee-Transportkisten. Klever: „Man weiß nie, wer draufschaut und uns mal googelt.“
„Vieles ist für die Mitarbeiter noch ungewohnt“, sagt Klever und freut sich über jede rote Wasserflasche mit der Aufschrift #onefamiliy, die er sieht. Alle 71 Kollegen haben eine bekommen und können sie an einer Wasserstation nachfüllen. „Damit wollen wir die Glasflaschen wegbekommen und etwas für den familiären Zusammenhalt im Betrieb tun.“
Das führt zu einem weiteren aktuellen Thema in der Gesenkschmiede, die vor vier Jahren nach dem plötzlichen Tod des Inhabers von der Plettenberger Prange-Gruppe übernommen wurde: Fachkräfte finden und halten. Das Unternehmen bildet wieder aus, sucht die Kooperation mit Schulen, aber noch hakt es. Eine Stelle konnte schon im letzten Jahr nicht besetzt werden: Mechatroniker-Azubi dringend gesucht!
Die studierte Politikwissenschaftlerin und Journalistin ist für aktiv vor allem im Märkischen Kreis, in Hagen und im Ennepe-Ruhr-Kreis unterwegs und berichtet von da aus den Betrieben und über deren Mitarbeiter. Nach Studium und Volontariat hat sie bei verschiedenen Tageszeitungen gearbeitet und ist seit vielen Jahren als freie Journalistin in der Region bestens vernetzt. Privat ackert und entspannt sie am liebsten in ihrem großen Garten.
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