Bockenem. Aus Jacek Kosdruy sprudelt das Wissen nur so heraus: Der Chemiker kennt seinen Beruf aus dem Effeff, weiß über nahezu jedes Detail Bescheid. Kein Wunder: Seit 37 Jahren arbeitet er beim Autozulieferer Toyoda Gosei Meteor im niedersächsischen Bockenem, entwickelt Gummi-Mischungen für anspruchsvollste Dichtungen in Fahrzeugen der Oberklasse.

Worauf es dabei ankommt? Das meiste Wissen hat der Mann im Kopf. Wenn der 65-Jährige Mitte nächsten Jahres in den Ruhestand geht, droht ein enormer Know-how-Verlust. Deshalb baut das Unternehmen vor: Ein Wissensmoderator hat das geballte Wissen des alten Hasen erfragt, er dokumentiert es und macht es so den Kollegen zugänglich. Weil es hier mehrere ältere Mitarbeiter gibt, deren Erfahrung für Meteor sehr wichtig ist, hat die Firma gleich zehn solcher Transfermanager ausbilden lassen.

    In den nächsten 15 Jahren gehen geburtenstarke Jahrgänge in Rente

    Einer dieser Transfermanager ist Paavo Zelazo. Er hat das Know-how Kosdruys für Meteor gesichert. Anderthalb Jahre lang hat er sich alle drei Wochen mit dem Chemiker getroffen. Zuerst in Brainstorming-Runden: „So ist eine Liste mit Schlagwörtern über die Arbeitsinhalte entstanden“, berichtet Zelazo. „Anschließend haben wir ein halbes Jahr lang eine umfangreiche Dokumentation erstellt.“ Was dabei herauskam, hat Zelazo – der selbst auch schon 24 Jahre im Betrieb ist – sehr erstaunt! „Was ich bei diesem Prozess noch an Neuem gelernt habe, war enorm – das hätte ich niemals erwartet“, sagt er, „das hat unglaublich viel Spaß gemacht.“

    Ähnlich wie Toyoda Gosei Meteor geht es vielen Kautschuk-Betrieben: In den nächsten 15 Jahren gehen die besonders geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer in Rente. Deren Erfahrungswissen für die Unternehmen zu sichern, ist eine enorme Herausforderung. Experten der „Demografieagentur für die Wirtschaft“ in Hannover helfen dabei. Mit ihnen hat auch Meteor sein Projekt erarbeitet: In drei Workshops wurden die Wissensmoderatoren ausgebildet. 20 Transfer-Projekte im Unternehmen wurden identifiziert und mithilfe der Moderatoren bereits durchgezogen.

    Meteor arbeitet seit Jahren mit der Demografieagentur zusammen

    Diese Strategie lobt Lutz Stratmann, Chef der Demografieagentur: „Eine frühzeitige demografiebewusste Personalpolitik von Unternehmen ist ein Schlüssel dazu, den Wandel zu bewältigen.“ Seine Experten unterstützen dabei auch andere Kautschuk-Betriebe.

    Wie wichtig das ist, bestätigt Nadine Eggers, Projektleiterin bei Meteor: „Der Blick von außen hat uns sehr geholfen. Davon profitieren wir immer wieder aufs Neue.“ Ihr Unternehmen arbeitet schon seit 2015 mit der Demografieagentur zusammen und wurde zum dritten Mal vom Land Niedersachsen als „demografiefest 4.0“ ausgezeichnet.

    Das hilft auch bei der Nachwuchssuche. Der Chemiker Kevin Krause hatte davon erfahren, als er sich bei Meteor bewarb. Inzwischen hat er sich als Nachfolger von Kosdruy eingearbeitet. „Ich trete in ziemlich große Fußstapfen, das ist mir bewusst“, sagt Krause. „Da ist es beruhigend, dass es eine derart umfangreiche Dokumentation gibt. Und wenn ich später wirklich mal nicht weiterweiß, rufe ich Jacek an.“

    Dichtungssysteme der Spitzenklasse

    Schon zum dritten Mal ausgezeichnet: Toyoda Gosei Meteor in Bockenem tut eine Menge, um den Standort „demografiefest“ zu machen.
    Schon zum dritten Mal ausgezeichnet: Toyoda Gosei Meteor in Bockenem tut eine Menge, um den Standort „demografiefest“ zu machen. Bild: Gossmann
    • Toyoda Gosei Meteor in Bockenem wurde kürzlich zum dritten Mal als „demografiefester Betrieb“ ausgezeichnet. Das Unternehmen hat 1.500 Mitarbeiter an vier Standorten in Deutschland und den USA.
    • Produkte sind anspruchsvolle Dichtungssysteme für Cabrios, Coupés sowie Fahrzeuge der Oberklasse.
    • Kunden sind die führenden Autohersteller Europas, aber auch Hersteller von Windkraftanlagen, Wohnmobilen und Spezialfahrzeugen.

    Weniger Arbeitskräfte

    Die Zahl der 20- bis 66-Jährigen geht stark zurück.

    • 51,8 Millionen Bundesbürger waren 2018 im Erwerbsalter.
    • 46,4 Millionen Menschen dürften es nur noch im Jahr 2035 sein.
    Werner Fricke
    Autor

    Werner Fricke kennt die niedersächsische Metall- und Elektro-Industrie aus dem Effeff. Denn nach seiner Tätigkeit als Journalist in Hannover wechselte er als Leiter der Geschäftsstelle zum Arbeitgeberverband NiedersachsenMetall. So schreibt er für aktiv über norddeutsche Betriebe und deren Mitarbeiter. Als Fan von Hannover 96 erlebt er in seiner Freizeit Höhen und Tiefen.

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