Wie immer man zum Austritt Großbritanniens aus der EU stehen mag, eines ist klar: Der chaotische Prozess hat dem Ansehen der Politik geschadet und viele Fragen aufgeworfen.

In Großbritannien haben sich die beiden großen Parteien im Unterhaus immer wieder verhakt und dadurch viel Vertrauen bei den Bürgern verspielt. Festgefahren in alten Haltungen waren Labour und Konservative über viele Monate unfähig, einen tragfähigen Kompromiss vorzuschlagen.

Die Lehre daraus? Das auf der Insel geltende Mehrheitswahlrecht sorgt zwar für unterhaltsame Zuspitzungen, fördert aber zugleich auch Verhärtungen und Kompromisslosigkeit. Unser deutsches Verhältniswahlrecht dagegen führt zu langen Verhandlungen und schwierigen Koalitionen, sichert aber zumindest Minimalkonsense in Grundsatzfragen.

Mag man das jeweilige Wahlrecht noch differenziert bewerten – als wirklich schädlich für die Demokratie hat es sich erwiesen, dem Wahlvolk eine so emotionsgeladene Grundsatzfrage wie die nach dem EU-Verbleib vorzulegen.

Die Entscheidung spaltete die Bevölkerung auf Jahre und tut inzwischen wohl den meisten Briten leid. Zudem überfordert das knappe Votum erkennbar die britische Politik, die sich zerreibt im Zwang, es allen recht machen zu wollen.

Das sollte denen zu denken geben, die bei uns über mehr direkte Demokratie und weniger Rechte für Bundestag und Landtage diskutieren. Volksabstimmungen werden nicht selten von Populisten beeinflusst, die sich – nachdem Volkes Stimme in ihrem Sinne gesprochen hat – um die Umsetzung der Vorschläge und ihre negativen Folgen nicht scheren, sondern die Verantwortung für ein Misslingen den Abgeordneten in die Schuhe schieben.

Um das zu verhindern, sollten wir unser manchmal schwerfälliges, aber im Ergebnis handlungsfähiges föderales System pflegen und nicht schlechtreden. Die oft ersehnten klaren Ansagen führen nicht zwingend zu klugen Kompromissen, sondern auch zu bitteren Blockaden.