Mehr Rente vom Staat, das klingt erst mal erfreulich. Weniger Kontrollen für Bezieher von Arbeitslosengeld II, das wirkt zunächst positiv. Ein höherer Mindestlohn, das scheint wertschätzend. Aber sind diese Pläne auch wirklich gerecht?

Auf 965 Milliarden Euro summierten sich die Sozialausgaben in Deutschland 2017, rund 300 Milliarden davon flossen allein in die Rente. Das entspricht fast einem Drittel des Wertes aller im Land erwirtschafteten Dienstleistungen und Waren und zählt weltweit zu den Spitzenwerten.

Ja, ein solches System liefert Sicherheit im Alter, bei Krankheit oder Arbeitslosigkeit, und das ist gut so. Aber es muss auch jeden Tag neu finanziert werden, um langfristig stabil zu bleiben.

Genau das ist derzeit aber unsicherer denn je. 25 Milliarden Euro fehlen dem Finanzminister schon heute bis 2023, um die absehbaren Ausgaben zu bezahlen. Mehr Rente, Mindestlohn und Arbeitslosengeld II sind da noch gar nicht eingerechnet, von 20 Milliarden mindestens sprechen Fachleute – pro Jahr. Zugleich verdüstern sich nach neun Jahren Aufschwung die Aussichten: Alle Experten prophezeien deutlich weniger Wachstum und damit weniger Steuererträge.

Das wirft Fragen auf. Braucht beispielsweise die Ehefrau, die nebenbei in der Boutique gejobbt hat, wirklich eine „Respektrente“ in Mindesthöhe? Denn auch sie käme ohne Bedürftigkeitsprüfung in den Genuss dieser Zahlung.

Soll der Mindestlohn für alle höher liegen als manche Tariflöhne, etwa in der Gastronomie? Das würde unser System, in dem die Sozialpartner und nicht der Staat die Einkommen aushandeln, weiter aushöhlen und wäre sicher kein Beitrag zu mehr Tarifbindung.

Gerechtigkeit gelingt nur, wenn man sie zu Ende denkt. Wenn man nicht die Wähler von heute, sondern die Beitragszahler von morgen in den Blick nimmt. Und wenn man sich bei der Weiterentwicklung des Sozialstaats nicht von Gefühlen und Ängsten leiten lässt, sondern von den Herausforderungen der Zukunft; der digitale Strukturwandel ist hier nur ein Stichwort. Echte Aufgaben gäbe es genug. Wann fängt man in Berlin damit an?