Segel sind auf der Ostsee vor Warnemünde eigentlich ein vertrauter Anblick. Seit einigen Monaten jedoch ist hier ein segelbestücktes Schiff unterwegs, das regelmäßig für Aufsehen sorgt, weil es so ganz anders aussieht.

Denn das Segel auf der „Copenhagen“ besteht nicht aus Tuch, sondern aus Metall. Und es ist auch nicht flächig, sondern rund wie eine Litfaßsäule. Der Zylinder hat einen Durchmesser von fünf Metern und ragt mittschiffs auf dem obersten Deck der Scandlines-Fähre 30 Meter hoch in den Himmel. Es handelt sich um einen Flettner-Rotor, ein Hightech-Konstrukt, das mit der Ästhetik weißen Segeltuchs auf großen Windjammern nicht mithalten kann, aber mindestens genauso beeindruckend ist.

Das Schiff sorgte für großes Erstaunen

„In den ersten zwei Wochen war es schlimm“, erzählt Kapitän Jan Barsøe und lächelt verschmitzt. Wegen der Fragerei. Fast von jedem Schiff, das sich auf der Fährroute zwischen Rostock und dem dänischen Hafen Gedser der „Copenhagen“ näherte, kam ein neugieriger Funkspruch. Barsøes Kollegen wollten unbedingt erfahren, was es mit der ungewöhnlichen Konstruktion auf sich hat. Dass der Segelantrieb auf einem modernen Schiff Einsatz findet, sorgte für großes Erstaunen.

Die ersten Erfahrungen mit dem Rotorsegel sind laut Scandlines positiv

Mit der Riesenröhre, die im Mai 2020 an Pier III unweit des Rostocker Liebherr-Werks von Spezialisten des finnischen Ingenieur-Unternehmens Norsepower auf der „Copenhagen“ montiert wurde, wird das seit rund 100 Jahren bekannte Prinzip des Flettner-Rotors genutzt.

Der Wind weht meist aus Westen

Dieser basiert auf dem Magnus-Effekt, benannt nach dem deutschen Physiker Heinrich Gustav Magnus. Dabei wird von der Seite kommender Wind durch die motorisch erzeugte Rotation des Zylinders strömungstechnisch so beeinflusst, dass die Windenergie den Vortrieb des Schiffes unterstützt.

Die vorherrschenden Windverhältnisse auf der Nord-Süd-Route zwischen Rostock und Gedser kommen der deutsch-dänischen Reederei Scandlines beim Einsatz der alternativen Technik entgegen, denn der Wind weht zumeist aus dem Westen.

Praxistest verlief positiv

Der mit Spannung erwartete Praxistest auf der Ostsee bestätigte die Prognosen der Ingenieure. Michael Dietz, Sales und Marketing Manager bei Scandlines: „In den ersten Einsatzwochen hat sich gezeigt, dass das Schiff mit dem Rotorsegel bis zu einem halben Knoten schneller unterwegs ist als ohne.“

Die 2012 gegründete Firma Norsepower gilt als Vorreiter im Bereich moderner Windantriebstechnologien. So wurden unter anderem schon die Ostseefähre „Viking Grace“ und ein Tankschiff mit rotierenden Segeln ausgerüstet.

Positive ökologische und ökonomische Effekte

Diese Einsatzfälle bewogen Scandlines, es ebenfalls mit dieser Segeltechnologie zu versuchen. Erste Erfahrungsberichte aus der Schifffahrt bestätigten positive ökologische und ökonomische Effekte. Zumal die zusätzliche Antriebskraft durch Wind mit anderen emissionsverringernden Technologien kompatibel ist.

Die „Copenhagen“ verfügt wie ihr Schwesterschiff „Berlin“ über einen Hybrid-Antrieb: Traditionelle Schweröl-Motoren mit sogenannten Scrubbern, die den Abgasen mindestens 90 Prozent ihres Schwefel- und Rußpartikelgehalts entziehen, arbeiten in Kombination mit moderner Batterietechnologie.

Vollautomatische Rotor-Regelung

Für die neue Technik an Bord musste Wartungsingenieur Thorstein Troest nach eigener Aussage nicht viel hinzulernen. „Das Rotorsegel ist einfach konstruiert und wird vollautomatisch gesteuert.“

Windsensoren an dem Rotorsegel, erklärt der 38-jährige Däne, würden permanent signalisieren, woher und wie stark der Wind weht. Entsprechend schnell rotiert das Segel.

140 Umdrehungen pro Minute

Auf halber Strecke mit Kurs Gedser ist eine rasante Drehung des Zylinders zu erkennen. Maschinist Troest schätzt „so um die 140 Umdrehungen pro Minute“. Maximal seien 180 möglich.

Kurz vor dem dänischen Hafen tourt das Segel fast auf null herunter. Automatisch. Eine GPS-markierte „rote Linie“ ist überfahren. „Das Segel wird bei der Hafenansteuerung herausgenommen, um das Fahrmanöver nicht zu beeinflussen“, so Troest.

„Wir spüren das Segel während der Fahrt“

Auf der Kommandobrücke der „Copenhagen“ hat der wachhabende Erste Offizier John Kaufmann neben den elektronischen Seekarten die aktuellen Betriebsdaten des Rotorsegels im Blick.

„Wir spüren das Segel während der Fahrt“, sagt der erfahrene Nautiker. Trifft sehr starker Wind auf den Zylinder, „treibt das Schiff aus der Kurslinie“. Dann müsse leicht gegengesteuert werden.

Die weltgrößten Hybrid-Fähren

Wie sich die Segeltechnik ansonsten auswirkt, etwa auf den Treibstoffverbrauch und die Emissionen des Schiffes, lässt sich nach der bisher kurzen Einsatzdauer noch nicht exakt einschätzen, resümiert Kaufmann. „Aber der erste Eindruck ist sehr positiv.“

Als Scandlines vor Jahren begann, Kurs auf eine emissionsfreie Fährschifffahrt zu nehmen, war der Flettner-Rotor bereits Teil der Überlegungen. Doch zunächst fokussierte sich die Reederei auf den batteriegestützten Hybrid-Antrieb und brachte 2016 auf der Linie Rostock–Gedser mit der „Copenhagen“ und „Berlin“ die weltgrößten Hybrid-Fähren in Fahrt.

Das Ziel der Reederei ist „Zero Emission“

Ein weiterer Schritt auf dem Weg zum Ziel „Zero Emission“ ist nun das Rotorsegel. Es ermöglicht, die Leistung der Schiffsmotoren zu drosseln und mithilfe des Windes trotzdem Geschwindigkeit und Fahrtzeit beizubehalten.

Der reduzierte Treibstoffverbrauch führt zugleich zu einer Verringerung des Schadstoffausstoßes. „Wir erwarten, die CO2-Emissionen um 4 bis 5 Prozent reduzieren zu können“, betont Manager Dietze.