Mülsen. Nach 20 Minuten Erhitzen unter 1.000 Tonnen Presskraft heben Achim Schumann und Ronny Kutzner eine fertige Gummimatte aus der Presse. Allerdings mit technischer Hilfe. Denn das Teil wiegt stolze 60 Kilogramm und ist zudem noch heiß. Das Produkt der Polymer Technik Mülsen (Sachsen) wird bald in einer Fabrik oder Werkstatt liegen und dort für einen rutschfesten und strapazierfähigen Boden sorgen.
„Wir produzieren auch Zuschlagstoffe aus Gummi für Bitumen, die Straßen länger haltbar machen“, sagt Geschäftsführer Andreas Baumann. „Und wir pressen aus Gummimehl und Zusatzstoffen Industriefliesen.“ Neuestes Produkt ist ein spritzfähiges Beschichtungsmaterial zum Schutz vor Feuchtigkeit am Bau.
Kernstück des Unternehmens ist eine riesige Schredder-Anlage
All das macht die Polymer Technik Mülsen aus Granulat oder fein gemahlenem Gummi aus abgefahrenen Reifen. Dass das mit dem Reifen-Recycling so gut klappt, verdankt das Unternehmen auch ein wenig dem Institut für Strukturleichtbau der TU Chemnitz. Deren Mitarbeiter wie etwa Stefan Hoyer helfen immer wieder mal, praktische Probleme zu lösen oder entwickeln Techniken fürs Gummi-Recycling.
Zurück zur Polymer Technik Mülsen: Kernstück des Unternehmens ist eine riesige Schredder-Anlage, die der Mutterfirma Mülsener Rohstoff- und Handelsgesellschaft (MRH) gehört. In ihren Mahlwerken werden 30.000 Tonnen hochwertiger Lkw-Altreifen pro Jahr zerkleinert. Stahl- und Textilbestandteile werden entfernt, das Gummi zu Granulatkörnchen von wenigen Millimetern Größe gemahlen.
Gefrorenes Gummigranulat wird zu Mehl
Gleich daneben steht seit einigen Jahren eine moderne Anlage, die mithilfe von flüssigem Stickstoff Gummigranulat auf minus 180 Grad Celsius friert und zu feinstem Gummimehl zerreibt. Dessen Partikel messen nur wenige Hundert Mikrometer. Einen Teil dieser Gummimehle verarbeiten MRH und Polymertechnik in vier Produktionslinien selbst, der Großteil wird als Rohstoff an andere Produzenten verkauft.
Zusammen beschäftigen die Firmen 80 Mitarbeiter, setzen mehrere Millionen Euro um und schreiben schwarze Zahlen. Anfangs hatte das im Jahr 1995 gegründete Unternehmen das Altreifen-Granulat meistens noch als Brennstoff oder Rohstoff an Verarbeiter verkauft. „Seit einigen Jahren aber entwickeln und fertigen wir selbst Produkte daraus“, berichtet Geschäftsführer Baumann. Denn: „Es ist viel sinnvoller und wirtschaftlicher, das Altgummi für neue Produkte zu nutzen, anstatt es zu verbrennen. Aber selbstverständlich muss sich das rechnen.“
Neue Werkstoffe und effiziente Techniken sind das Ziel
An der Stelle kommen wieder die TU Chemnitz und Wissenschaftler Stefan Hoyer ins Spiel. Aktuell tüftelt er an einer besseren Technik, um mikronisierte Gummimehle mit anderen Materialien zu mischen. Entwickelt hat er auch ein Verfahren, mit dem man Gummimehl und wärmeverformbare Kunststoffe mischen und durch Spritzgießen zu komplexen Teilen verarbeiten kann.
Seit zwölf Jahren kommt Hoyer oft hierher. Sein Ziel: „Neue Werkstoffe und effiziente Verarbeitungstechniken für die Praxis entwickeln.“ Über das Netzwerk „ElastoTech“ unterstützt er da auch andere Mittelständler.
Nachgefragt
Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?
Studieren wollte ich, weil mich Technik interessiert. Zum Gummi kam ich durch das Thema meiner Abschlussarbeit.
Was reizt Sie am meisten?
Ohne Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit geht Wirtschaft in der Welt von heute nicht mehr. Mir ist es wichtig, mit meiner Arbeit dazu beizutragen.
Worauf kommt es an?
Gummi ist ein höchst komplexer Werkstoff. Oberflächliches Wissen hilft da nicht weiter – man muss die Arbeitsthemen jeweils von allen Seiten beleuchten.
Altreifen-Statistik
Die Menge blieb trotz mehr Autos stabil.
- 584000 Tonnen alte Autoreifen fielen im Jahr 2017 an.
- 229000 Tonnen davon wurden zu Produkten verwertet.
- 201000 Tonnen gingen als Brennstoff an Zementhersteller.
(Quelle: Wirtschaftsverband der Kautschukindustrie)