Köln/München. Die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft schreitet rasch voran. Das eröffnet für bayerische Betriebe viele neue Wertschöpfungspotenziale. Die Basis dafür ist jedoch eine wirtschaftliche Nutzung von Daten.

Viele Firmen heben allerdings bislang viel zu selten ihre Datenschätze, um ihre Geschäftsmodelle zu verbessern und Wettbewerbsvorteile zu erlangen. Das ist das Ergebnis der Studie „Datenwirtschaft in Deutschland“, die das Institut der deutschen Wirtschaft im Auftrag des Bundesverbands der Deutschen Industrie vorgelegt hat. Unterstützt wurde die Arbeit von der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), die schon lange die Chancen datengetriebener Geschäftsmodelle betont.

Für die Studie wurden 500 Unternehmen in Deutschland zu ihrem Digitalisierungsstand sowie ihrem Umgang mit Daten befragt und gemäß einem Berechnungsmodell in Klassen eingeteilt. Das Resultat: Nur 28 Prozent der Firmen wurden als digital klassifiziert, die Mehrheit gilt als wenig digitalisiert.

Deutsche Unternehmen fallen gegenüber Wettbewerbern aus den USA und China zurück

Experten bereitet das Sorgen. „Die voranschreitende Vernetzung von Produktionsprozessen und die Potenziale zur Analyse immer größerer Datenmengen durch künstliche Intelligenz (KI) stellen für Betriebe der Industrie, aber auch für andere Branchen ein großes wirtschaftliches Potenzial dar“, schreiben die Autoren der Studie. „Gleichzeitig zeigt sich jedoch, dass viele Unternehmen in Deutschland die Potenziale der Digitalisierung noch nicht in vollem Umfang nutzen oder sogar erst am Anfang des Weges stehen, während US-amerikanische und zunehmend chinesische Technologieunternehmen – oftmals digitale Plattformen – die Führung für sich beanspruchen.“

Es gilt daher aus Sicht der Experten, die Betriebe in die Lage zu versetzen, Unternehmensdaten effizient und sinnvoll zu verwenden. Das bedeutet: Daten zu erfassen, zu identifizieren, sicher zu speichern und dort verfügbar zu machen, wo sie erforderlich sind.

Nach Meinung der vbw kommt dem Staat eine wichtige Rolle zu, um datenschutzkonforme Lösungen zu entwickeln und rechtssichere Anonymisierung von Daten zu erleichtern. Zugleich dürften Betriebe nicht dazu gezwungen werden, ihre Daten zu teilen. Das sehen auch 85 Prozent der befragten Unternehmen so. „Zwang ist nicht die richtige Grundlage für wirtschaftlichen Erfolg“, sagt Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der vbw. „Es geht darum, Chancen aufzuzeigen und Hindernisse abzubauen. Die Studie zeigt, wo Handlungsbedarf besteht.“

Diagnose: Mit künstlicher Intelligenz lassen sich MRT-Bilder auch automatisch auswerten.

Die Autoren geben fünf Empfehlungen an Politik, Wirtschaftsverbände und Unternehmen, mit denen Deutschland und seine Unternehmen in Sachen Datennutzung einen großen Schritt vorankommen können.

Geschäftsmodelle bekannter machen

Wirtschaftspolitische Akteure und Verbände sollten stärker auf die derzeit ungenutzten Potenziale hinweisen und Sorgen gegenüber verstärkten Kooperationen im Bereich der Daten abbauen, raten die Autoren. „Die unternehmensübergreifende Verknüpfung, Auswertung und Nutzung von Daten“ sei ein „Kernelement digitaler Geschäftsmodelle“. Es sei bislang zu wenig bekannt oder erscheine nicht lukrativ genug, im Unternehmen gewonnene Daten wirtschaftlich zu nutzen und ihre Vermarktung zu einem Geschäftsmodell zu entwickeln. Stattdessen überwiege die Sorge, „mit der Weitergabe von Daten einen Kontrollverlust zu erleiden und Geschäftsgeheimnisse preiszugeben“.

Auf die Vorteile der Datennutzung hinweisen

Um die Verbreitung datengetriebener Geschäftsmodelle zu fördern, plädieren die Experten dafür, die finanziellen Vorteile der Datennutzung in den Vordergrund zu stellen. Firmen müssten sich stärker über den Wert von Daten bewusst werden. Zudem bestehe das Risiko, dass digitale Unternehmen und Plattformen ihre Tätigkeit auf die bislang analogen Geschäftsfelder ausdehnen werden. Auch industrielle und industrienahe Anwendungen im Rahmen der Industrie 4.0 würden viele Möglichkeiten bieten, generierte Daten wirtschaftlich zu nutzen.

Bereitschaft zum Datenaustausch stärken

Die Bereitschaft zum unternehmensübergreifenden Austausch von Daten muss laut den Experten größer werden. Dieses „Data Sharing“ sei eine Bedingung für das Nutzen datengetriebener Geschäftsmodelle – und bislang in Deutschland noch sehr schwach entwickelt. Zwar würde jede vierte befragte Firma Daten aus externen Quellen gerne nutzen. Aber nicht einmal jede achte ist bereit, anderen Firmen die Nutzung eigener Daten zu ermöglichen. Ziel müsse es sein, diesen „Datengeiz“ zu beenden, indem man verstärkt auf die gegenseitige Abhängigkeit hinweist und dafür wirbt, dass vertrauliche Daten vor unerlaubtem Zugriff gesichert werden können.

Hemmnisse für die Datennutzung abbauen

Die Ergebnisse der Studie weisen auf erhebliche Hemmnisse hin, die die Firmen dabei bremsen, ihre Daten stärker zu nutzen. Insbesondere die Frage der Datensicherheit und datenschutzrechtliche „Grauzonen“ verunsichern. Themen wie die Verfügbarkeit von Fachkräften oder technische Aspekte werden seltener genannt.

Interessant ist vor allem: Die Hemmnisse werden von digitalen Firmen sogar noch stärker wahrgenommen als von weniger digitalen. Die Probleme sind also nicht nur theoretisch, sondern die Firmen sprechen aus Erfahrung, die Hemmnisse sind „real“.

Neue Cloud „GAIA-X“ nutzen

Derzeit wird an einer sicheren dezentralen Cloud-Lösung gearbeitet, die den Datenaustausch zwischen Unternehmen erleichtern soll. Das Angebot heißt „GAIA-X“, wurde vom Bundeswirtschaftsministerium initiiert und ist allerdings derzeit nur bei 6 Prozent der befragten Unternehmen bekannt.

Die Plattform sei wichtig, schreiben die Autoren, insbesondere „angesichts der großen Vorbehalte der Unternehmen, die die vorliegende Befragung beim Thema Datenaustausch gerade in Bezug auf die Datensicherheit offenbart“.

Das Ziel: „Marktreife Anwendungen für das europäische Cloud-Projekt GAIA-X zügig verfügbar machen, damit sich digitale Geschäftsmodelle auf Basis eines sicheren Datenaustausches zwischen Unternehmen entwickeln können und ein höherer Bekanntheitsgrad des Vorhabens erzielt wird“.

Anwendungsbeispiel Medizin

Bildgebende Diagnostik mit hochauflösenden Ultraschallgeräten, Magnetresonanztomografen (MRT) oder anderer Medizintechnik generiert eine Fülle von Daten. Mit ihnen können Diagnose- und Behandlungsmethoden weiterentwickelt werden, wenn die Patientendaten anonymisiert ausgewertet werden.

Digitale Bildanalyse gewinnt in der Medizin zunehmend an Bedeutung. Eine Voraussetzung dafür ist der Einsatz von künstlicher Intelligenz – etwa um MRT-Bilder zu analysieren. So kann eine automatisierte Diagnose erfolgen, die mittlerweile eine extreme Genauigkeit erreicht.

Kombinierte Datensätze aus verschiedenen Quellen sind die Basis dafür, um Patienten besser zu behandeln. Um die Genforschung weiterzuentwickeln und Krankheitszusammenhänge zu erkennen, werden etwa elektronische Gesundheitsakten mit gesammelten DNA-Informationen sowie mit Biomarker-Datenbanken gekoppelt. So sind bessere Therapien möglich – insbesondere bei Krebserkrankungen. Denn die Vielfalt an Tumortypen und verschiedene Patientenreaktionen auf Therapien führen immer wieder zu Fehlbehandlungen.

Telemedizin steht und fällt mit einer guten digitalen Infrastruktur und einer sicheren Nutzung von Daten. Mit virtuellen Diagnosen und Behandlungen können in ländlichen Regionen Lücken in der hochwertigen medizinischen Versorgung kompensiert werden. Langfristig ist der Einsatz von fernüberwachten Operationsrobotern möglich.

Michael Stark
aktiv-Redakteur

Michael Stark schreibt aus der Münchner aktiv-Redaktion vor allem über Betriebe und Themen der bayerischen Metall- und Elektro-Industrie. Darüber hinaus beschäftigt sich der Volkswirt immer wieder mit wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen. Das journalistische Handwerk lernte der gebürtige Hesse als Volontär bei der Mediengruppe Münchner Merkur/tz. An Wochenenden trifft man den Wahl-Landshuter regelmäßig im Eisstadion.

Alle Beiträge des Autors