Schiltach. Wenn Melanie Grüner mal im Hotel übernachtet, wirft sie sofort einen kritischen Blick in die Dusche, dreht das Wasser auf – und lauscht. Oje: ein leises Rattern! „Beim Duschen achte ich auf Dinge, die anderen gar nicht auffallen“, erzählt sie lachend. „Das geht vielen so, die bei Hansgrohe arbeiten.“
1.761 Mitarbeiter hat der Armaturen- und Brausenspezialist am Hauptsitz in Schiltach, weltweit sind es fast 4.700. Doch den Job, den Grüner im Unternehmen macht, gibt es hier nur einmal (und er ist auch sonst sehr exotisch): Als Sound-Designerin perfektioniert die Verfahrensingenieurin die Geräusche von Duschbrausen und Armaturen.
„Darin kann man sich komplett verlieren“, schwärmt sie. Sound-Design – was in der Film-Industrie und bei Autoherstellern schon lange einen festen Platz hat, ist im Bereich Sanitär noch ein relativ neues Thema. „Das macht den Reiz meines Berufs aus“, sagt Grüner. Sie ist überzeugt: Der Sound der Brause kann darüber entscheiden, ob man das Duschen als lästige Pflicht empfindet oder als Wohlfühl-Erlebnis.
Sie arbeitet in einem geräuschisolierten Raum mit Spezial-Mikrofonen
Beim aktiv-Besuch zeigt die junge Frau, wie sie Letzteres erreicht. In einem geräuschisolierten Raum ist eine Kabine aufgebaut, in der Grüner den Sound von Brausen mit speziellen Mikrofonen aufnimmt. Dann hört sie ihn immer wieder an. Und macht vielleicht noch ein zu helles Rauschen aus, ein leises Rattern, ein lästiges Klappern …
„Billige Brausen klingen oft ganz schrecklich“, findet Grüner. Das liege zum Beispiel an zu großen Hohlräumen im Inneren oder an Materialien, die vibrieren.
Bei Hansgrohe jedenfalls kommt jedes neue Modell auf den Prüfstand. Die Expertin arbeitet auch mit einer Akustik-Kamera, mit der sich lokalisieren lässt, woher ein Störgeräusch kommt: Bei der Aufnahme erscheint dieser Bereich rot.
Bauteile im Inneren werden optimiert, um die Akustik zu verbessern
„Dann nehme ich mir das Bauteil vor und bespreche mit den Konstrukteuren, wie wir es verbessern könnten“, erzählt Grüner. Vor fünf Jahren hat das Unternehmen mit dem Sound-Design begonnen – Auftakt war eine Masterarbeit, die Grüner für ihr Studium der Verfahrenstechnik bei Hansgrohe machte. Thema: Duschstrahl-Akustik. Im Studium hatte sich die junge Frau bereits damit beschäftigt, wie man die Akustik in Seminarräumen verbessern kann.
„Wenn man so etwas angeht, betritt man Neuland“, schildert Grüner. „Man überlegt erst einmal, wie man Duschgeräusche aufnehmen kann und welche Geräusche überhaupt als positiv oder negativ empfunden werden.“ Methoden entwickelt Grüner dann oft selbst. „Ich habe zum Beispiel schon mehrere Audio-Dateien an Kollegen gemailt und sie gefragt: Welchen Dusch-Sound findet ihr am angenehmsten?“
„Wie ein leises Blätterrauschen im Wald“
Grüner präsentiert ein aktuelles Ergebnis ihrer anspruchsvollen Arbeit, die „Rainfinity“-Brause: Sie rauscht sehr leise und sanft, aus jeder Düse kommen mehrere hauchdünne Wasserfäden. Auch bei der Weiterentwicklung des Wasserstrahls wirkt Grüner mit.
Wie laut Duschgeräusche sind, ist natürlich auch für die Menschen in Nebenräumen interessant, etwa in Hotels und Mehrfamilienhäusern. „Körperschall“ nennen Experten den Schall, der sich in einem Festkörper wie einem Haus ausbreitet. Ziel ist bei Hansgrohe immer die beste Zertifizierung in diesem Bereich: Geräuschklasse I, maximal 20 Dezibel. „Eine Brause ist dann nur so laut wie ein leises Blätterrauschen in einem Wald“, beschreibt Grüner.
Öfter mal nimmt die Akustik-Expertin Arbeit mit nach Hause – auch ihr Mann testet dann mit. Jüngst sagte er zu ihr: „Schatz, man hört ja fast gar nicht mehr, wenn das Wasser läuft!“ Ob das nun prima ist oder vielleicht doch etwas zu leise, das wird Grüner sicher noch herausfinden.
Nachgefragt
Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?
Seit einem Girls’ Day in der achten Klasse wusste ich, dass ich was mit Technik machen will. Ich habe Verfahrenstechnik studiert – und mich für Akustik begeistert.
Was reizt Sie am meisten?
Es ist spannend, sich mit einem ganz neuen Thema zu beschäftigen. Da gibt es noch kein Schema, man muss sich alles selbst erarbeiten.
Worauf kommt es an?
Wissbegierig und lernbereit sein!
Barbara Auer berichtet aus der aktiv-Redaktion Stuttgart vor allem über die Metall- und Elektro-Industrie Baden-Württembergs – auch gerne mal mit der Videokamera. Nach dem Studium der Sozialwissenschaft mit Schwerpunkt Volkswirtschaftslehre volontierte sie beim „Münchner Merkur“. Wenn Barbara nicht für aktiv im Einsatz ist, streift sie am liebsten durch Wiesen und Wälder – und fotografiert und filmt dabei, von der Blume bis zur Landschaft.
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