Balve. Die kleine Sprengstoffkapsel rettet Leben – wenn sie kontrolliert im Inneren des Airbags explodiert. Geht sie allerdings ungewollt hoch, kann es ein pyrotechnisches Spektakel geben. 50 Airbags, die auf dem Weg vom Hersteller ins Autowerk in einer Kettenreaktion mal eben explodieren – man möchte nicht danebenstehen.

Bei der Firma Paul Müller Transport- und Verpackungssysteme in Balve hat man genau dieses Szenario schon oft durchgespielt. Und es im nahen Steinbruch mit Brandversuchen auch in der Praxis ausgetestet.

Gefahrgut-Boxen sehen auf ersten Blick wie normale Blechkisten aus

Entwickelt wurden dabei Transportboxen, die den hohen Gefahrgut-Vorschriften entsprechen. An einer Box setzt Andre Zwetzich gerade die Schweißpistole an. Auf den ersten Blick sieht sie aus wie eine einfache Blechkiste. Am Ende wird sie aber so stabil sein, dass sie große Hitze aushält und von eventuellen Explosionen darin nichts nach außen dringt. Airbags und Gurtstraffer, Aktuatoren (die bei einem Fußgänger-Aufprall die Motorhaube anheben) und Lithium-Ionen- Akkus für Elektro- und Hybridfahrzeuge dürfen darin transportiert werden.

Diese Gefahrgut-Behälter gehören zu den Spezialitäten der Balver Verpackungsexperten. „Wir haben damit angefangen, als die Airbags aufkamen, und haben seitdem großes Know-how entwickeln können“, sagt Tobias Müller, einer der beiden Geschäftsführer im Familienunternehmen. Das hat ihnen einen guten Namen und einen Vorsprung im immer härter werdenden Wettbewerb verschafft. „Wir unterscheiden uns zudem durch eine sehr große Fertigungsbreite“, nennt er einen weiteren Pluspunkt.

Systeme von Paul Müller sind vor allem in der Auto-Industrie gefragt

So produzieren die Mitarbeiter in Balve nicht nur die Stahlbehälter, sondern auch die Kunststofftrays, auf denen die einzelnen Bauteile einen sicheren Platz finden. Sie entstehen unter anderem im Tiefzieh-Thermoformverfahren: Kunststofffolien oder -platten werden erwärmt und dadurch formbar gemacht. Anschließend wird ein Vakuum erzeugt und die Folie gegen ein Werkzeug gepresst. Nach dem Abkühlen sind die Module stabil und belastbar.

Die Transportsysteme aus Stahl und Kunststoff und vor allem aus der Kombination von beidem sind in erster Linie in der Auto-Industrie gefragt. „Wir beliefern fast alle großen Hersteller, schwerpunktmäßig in Europa mit Ausnahme von Frankreich und Italien“, so Müller. Werke in Nordhausen, in Polen, Indien und den USA gehören zum Unternehmen.

Auch im Einsatz für den Transport von Elektrogeräten, Teppichrollen oder Spülmaschinen-Körben

Rund 500 Mitarbeiter, 180 davon in Balve, kümmern sich um die individuellen Aufträge. Von der kleinen Zierleiste über vorgeformte Bodenteppiche bis zur kompletten Rohkarosse gibt es für alle Anforderungen eine passende Lösung. Mal werden dann nur zehn Ladungsträger gefertigt, etwa für Bugatti, mal bewegt sich – beispielsweise beim Erfolgsmodell Golf – die Zahl im vierstelligen Bereich. „Zwischen 300.000 und 500.000 Ladungsträger gehen im Jahr raus“, schätzt Müller. Die passgenauen Systeme sind auch in anderen Branchen gefragt, ob für den Transport von Elektrogeräten, Teppichrollen oder Körben für Spülmaschinen. Gut läuft auch das Routenzugsystem, mit dem mehrere Ladungsträger gezogen werden können. Es funktioniert rein mechanisch und lässt sich an jede Zugmaschine anhängen.

Aus „Kisten-Müller“ wurde in 60 Jahren ein international agierendes Unternehmen

An so etwas dachten Paul und Anton Müller noch nicht, als sie 1959 anfingen, in der Garage Paletten und Holzkisten zu zimmern. Über einen Kunden bekam „Kisten Müller“ wenige Jahre später Zugang zur Automobil-Industrie – eine Chance, die sowohl die Gründerväter als auch ihre Söhne konsequent mit ständigen Neu- und Weiterentwicklungen ausbauten.

Auch mit Holz wird noch gearbeitet, aber das Entwicklungsteam tüftelt vor allem an Stahl- und Kunststoffsystemen. Mitunter schon, bevor das zu verpackende Produkt überhaupt gefertigt wird. Manchmal geht es nur um die Anpassung von Details, dann wieder um komplette Neuentwicklungen. Dass vom Werkzeug- und Musterbau bis zur Lackieranlage alles im Unternehmen vorhanden ist, sorgt für Flexibilität.

Es erfordert aber auch Top-Mitarbeiter. „Wir würden gern mehr ausbilden, vor allem Verfahrensmechaniker für Kautschuktechnik oder Modellbaumechaniker“, sagt Tobias Müller. An der Attraktivität des Arbeitgebers kann es kaum liegen, dass Bewerbungen ausbleiben. Gerade ist er für sein Gesundheitsmanagement und für seine Familienfreundlichkeit ausgezeichnet worden. Besser kann man einen Start ins Berufsleben eigentlich nicht verpacken.

Begegnung mit...

Foto: Roth
Foto: Roth

Martin Lange: Quereinsteiger mit Verkaufstalent

Arbeitsvorbereitung, Logistikleiter, Qualitätsmanagement, Betriebsleiter, Unternehmensberatung – der Lebenslauf von Martin Lange ist alles andere als langweilig. Bei Paul Müller ist der 57-Jährige angekommen. „Bei der Firma bin ich bis jetzt am längsten“, blickt er zurück. „Der Vertrieb hier ist genau mein Ding.“ Dabei war 2006 eigentlich jemand für die Arbeitsvorbereitung gesucht worden. „Balve, wo ist das denn?“, hatte der Sprockhöveler gedacht, kam dennoch zum Probearbeiten und blieb. Allerdings nicht lange in der Arbeitsvorbereitung. Schon nach wenigen Tagen schickte ihn der Chef für eine Reklamationsbehebung nach England, der erste von etlichen Außeneinsätzen. Der gelernte Betriebsschlosser bringt mittlerweile seit zehn Jahren an den Mann, was er früher instand gesetzt und montiert hat. „Es ist mehr als nur verkaufen“, erklärt Lange. „Ich muss schauen, was der Kunde braucht, ihn beraten, das richtige Produkt anbieten.“ Er ist eingebunden in die Entwicklung, muss Sonderwünsche mit der Abteilung abstimmen, hat engen Kontakt zur Fertigung. „Ich bekomme Einblicke in viele Bereiche und kann all meine Erfahrungen einbringen. Das macht Spaß.“ 80.000 Kilometer fährt er im Jahr. Das stört ihn nicht: „Im Auto sitzen, über den Tag nachdenken, das hat auch etwas Entspannendes.“

Hildegard Goor-Schotten
Autorin

Die studierte Politikwissenschaftlerin und Journalistin ist für aktiv vor allem im Märkischen Kreis, Hagen und dem Ennepe-Ruhr-Kreis unterwegs und berichtet von da aus den Betrieben und über deren Mitarbeiter. Nach Studium und Volontariat hat sie außerdem bei verschiedenen Tageszeitungen gearbeitet und ist seit vielen Jahren als freie Journalistin in der Region bestens vernetzt. Privat ackert und entspannt sie am liebsten in ihrem großen Garten

Alle Beiträge der Autorin