Mit seinem Urteil zur Erfassung und Dokumentation der kompletten Arbeitszeit aller EU-Beschäftigten hat der Europäische Gerichtshof für Schlagzeilen gesorgt. Allerdings ist noch vieles offen: Die Mitgliedstaaten müssen das Urteil in nationales Recht übertragen. Die heftige Debatte nach dem Richterspruch lässt erahnen, wie schwierig es für den Bundestag wird, praktikable Mittelwege zu finden.

Auf der einen Seite ist es unverantwortlich und realitätsfern, alle Arbeitgeber unter den Generalverdacht des „Arbeitszeit-Diebstahls“ zu stellen. Die Auflage, jede Arbeitszeit-Minute ihrer Beschäftigten minutiös aufzuzeichnen - selbst wenn es nur um eine kurze Mail oder ein knappes Telefonat nach Feierabend geht - ist schlicht nicht erfüllbar. Ganz abgesehen davon, dass wohl niemand eine lückenlose Überwachung möchte.

Die Zeiten der Präsenzkultur sind vorbei

Auf der anderen Seite ist klar, dass es gewisser Regeln und Leitplanken bedarf, um Arbeitnehmer vor gesundheitsgefährdender Selbstausbeutung zu schützen - deshalb sind ja schon jetzt Überstunden zu erfassen und möglichst in Zeit auszugleichen. Ebenso nachvollziehbar ist die Sorge, dass zum Festgehalt das Arbeitspensum immer weiter heraufgesetzt wird, ohne ein späteres „Abbummeln“ zu ermöglichen. Eine gewisse Verknüpfung von Arbeitszeit und Entlohnung scheint unerlässlich.

Doch gerade hier setzt derzeit ein Kulturwandel ein: Immer mehr Beschäftigte möchten nicht mehr für feste Präsenzzeiten bezahlt werden, sondern ihre Arbeitszeiten flexibel gestalten – nicht nur zeitlich, sondern auch räumlich. Am Ende soll das Ergebnis zählen, nicht das Sitzfleisch oder wer als Letzter im Büro das Licht ausmacht.

Spätestens jetzt wird klar: Die Arbeitswelt 4.0 lässt sich nicht in ein Arbeits(zeit)recht 2.0 einpassen. Der Gesetzgeber ist nun aufgerufen, das Urteil zu nutzen, um einen modernen Arbeitszeit-Rahmen zu entwickeln, der Betrieben und Beschäftigten gleichermaßen nutzt.