Streunende Hunde einfangen und gegen Tollwut impfen, die Bevölkerung über die tödliche Krankheit aufklären: Das macht Tierarzt Fredrik Grünenfelder in einem Projekt, das er mit einer Kollegin in Nepal ins Leben gerufen hat – einem der ärmsten Länder der Welt. Hier leben Mensch und Tier nahe beisammen, die Straßen sind bevölkert mit streunenden Hunden.
„Leider haben viele von ihnen Tollwut und übertragen sie durch einen Biss auf die Menschen“, berichtet der 45-Jährige. Jedes Jahr sterben offiziell 200 Menschen in Nepal daran, wahrscheinlich sind es noch viel mehr. „Das müsste nicht sein“, sagt Grünenfelder, der beim Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim als Experte für das Risikomanagement in der Arzneimittelsicherheit arbeitet.
Tollwut: Hauptüberträger ist der Hund
Tollwut ist eine akute Infektion, die eine Gehirnentzündung verursacht. „Hauptüberträger für den Menschen ist der Hund“, erklärt Grünenfelder. Er weiß: Impft man die Tiere, lässt sich die Krankheit eindämmen und bestenfalls sogar stoppen. „In Europa ist das bereits gelungen, jedenfalls bei den Haus- und Nutztieren. Denn wir haben hier eine Impfpflicht.“
Aber wäre es nicht leichter, die Menschen zu impfen? Der Tierarzt winkt ab: „Diese Impfung muss man regelmäßig auffrischen, sie hält die Krankheit an sich nicht auf. Denn die Hauptinfektionsquelle Tier bleibt bestehen, ob es ein Hund ist oder ein anderes Säugetier.“ Und ist der Mensch erst einmal infiziert, wird es schwierig: Nicht jeder Arzt in Nepal hat die helfende Arznei zur Verfügung. Eine Behandlung aber muss zwingend vor den ersten Krankheitszeichen geschehen. Sie ist zudem kompliziert und teuer.
Zum Glück stellt Boehringer Ingelheim, das zweitgrößte Tiergesundheitsunternehmen weltweit, Tollwutimpfstoffe her. Als das Unternehmen von der Projektidee erfuhr, spendierte es Impfstoff, übernahm einen Großteil der Reisekosten und stellte Grünenfelder von der Arbeit frei.
Mithilfe seiner Kollegin Isabelle Buschulte, die sich bereits in anderen Projekten in Nepal engagiert, stellte er ein Pilotprojekt auf die Beine. Mehrmals flog er privat nach Nepal, bevor er 2018 die Aktion in ausgewählten Vororten der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu startete.
Sein Ziel: „Nachhaltige Methoden und Prozesse auf lokaler Ebene schaffen, damit Nepal den Kampf gegen diese voll und ganz vermeidbare Krankheit aufnehmen kann.“ Keine leichte Aufgabe: „Eine andere Kultur, Sprache, andere Umgangsformen“, berichtet Grünenfelder. „Und nicht selten eine wirklich unangenehme Umgebung mit viel Müll oder nahezu unpassierbaren Straßen.“
Ihm zur Seite standen lokale Veterinärorganisationen, professionelle Tierfänger und Studenten der Tiermedizin aus Kathmandu. Zunächst besuchte das Team rund 20 Schulen: „Wir haben den Kindern erklärt, dass Hunde von Natur aus und bei respektvollem Umgang nicht aggressiv sind. Aber Tollwut verändert ihr Wesen, macht sie grundlos bissig und aggressiv. Dann ist Vorsicht geboten.“ Dieses Wissen trugen die Kinder in ihre Familien: „So konnten wir etwa 3.300 Personen erreichen.“
Auch um Sauberkeit ging es. Denn „es gibt einen Zusammenhang zwischen Müllentsorgung und Tollwut“, sagt Grünenfelder. „Reduziert man die Abfälle, streunen weniger Hunde herum. Sie vermehren sich weniger – und das mindert das Risiko, gebissen zu werden.“
Boehringer-Arzt hat Impfstation eingerichtet
Im zweiten Schritt hat Grünenfelder mit seinem Team eine Impfstation vor Ort eingerichtet und die Familien eingeladen, ihre Tiere zu bringen: „Das klappt ganz gut.“ Er zog auch selbst durch die Straßen, klopfte an die Türen, impfte Haushunde und Streuner. Selbst widerspenstige Tiere: „Ich habe drei Dackel und viel Erfahrung aus meiner Praxiszeit“, lacht er.
800 Hunde wurden bei dieser Aktion immunisiert, im März soll es weitergehen. Dann möchte Grünenfelder mit Unterstützung von Boehringer Ingelheim 6.000 Impfdosen mitnehmen und eine Art „Impfring“ als Schutzwall um die Stadt Kathmandu oder einzelne Dörfer ziehen. Sollte das Projekt in Nepal Früchte tragen, möchte er es nach Indien ausdehnen und enger mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zusammenarbeiten. Denn auch die WHO hat das Ziel, dass bis zum Jahr 2030 keine Menschen mehr an durch Hunde übertragenen Tollwutinfektionen sterben.
Warum Tollwut eine Gefahr bleibt
In Europa ist die Gefahr der Tollwuterkrankung nahezu gebannt. Anders in Nepal, Indien, Sri Lanka und afrikanischen Ländern: „Reisende sollten keine streunenden Hunde anfassen, auch keine Welpen“, erklärt Tierarzt Fredrik Grünenfelder. „Schon ein kleiner Biss genügt, um das gefährliche Virus zu übertragen.“
Was tun, wenn es doch passiert? „So schnell es geht einen Arzt für Wundversorgung und Behandlung aufsuchen, spätestens innerhalb einiger Tage.“ Das gilt jedenfalls bei einem Biss ins Bein. Ist der Biss aber nahe am Kopf, müssen Betroffene schneller handeln.
Dr. Sabine Latorre war bei aktiv 22 Jahre lang die Spezialistin für Themen aus der Chemie- und Pharma-Industrie – bis zu ihrem Rentenbeginn im April 2024. Sie liebt es, komplizierte Zusammenhänge einfach darzustellen – so schon vor ihrer Zeit bei aktiv als Lehrerin sowie als Redakteurin für die Uniklinik Heidelberg und bei „BILD“. Außerdem schreibt sie naturwissenschaftliche Sachbücher für Kitas und Schulen. Privat reizen sie Reisen sowie handwerkliche und sportliche Herausforderungen.
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