Breuberg/Odenwald. Nein, Nelson Marques da Silva hat bei seinem Rundgang nichts zu meckern. Im Gegenteil: Der Qualitätsbeauftragte lobt Erdal Pir, den Mann an der Kautschuk-Mischerlinie. Er habe alles richtig gemacht. Der Durchsatz an der Maschine stimmt, die Sicherheitskleidung ist korrekt, und Pir ist am Ende der kräftezehrenden Schicht immer noch hochkonzentriert.
Pir arbeitet als Maschinenführer im Rohbetrieb des Reifenherstellers Pirelli Deutschland in Breuberg. Dort wird Sicherheit ganz großgeschrieben. „Wir haben hier kürzlich die Marke von 1.500 Arbeitstagen ohne meldepflichtigen Unfall geschafft“, berichtet Marques da Silva stolz. Dazu trage seit fast drei Jahren auch ein spezielles Programm bei, das „EiS-Programm“. EiS steht für „Excellence in Safety“ (zu Deutsch: „Spitzenleistung in der Sicherheit“) und sorgt dafür, dass die Belegschaft in Breuberg Arbeitssicherheit noch bewusster lebt.
1.500 Tage ohne meldepflichtigen Arbeitsunfall
Das fängt beim Umgang der Kollegen miteinander an, sagt Marques da Silva: „Meckern und Rumschreien machen nichts besser; mit Anerkennung und Bestätigung erreicht man mehr.“
Und mit gegenseitigem Bestärken. „Alle achten auf die eigene Sicherheit, und jeder guckt auch, was die Kollegen machen“, erklärt der Qualitätsbeauftragte die Philosophie. Bei riskantem Verhalten gebe es einen freundlichen Hinweis, ein Lob, wenn alles okay ist. „Technisch waren wir auch vor dem Programm auf dem höchsten Sicherheitslevel, die Zahl der Unfälle war immer schon sehr niedrig“, betont Michael Krautschneider, der Verantwortliche für Fabrikentwicklung und EiS.
Unfälle passieren fast immer wegen Unachtsamkeit
„Was es zu verbessern galt: Wir wollen das Bewusstsein schärfen, dass Sicherheit im eigenen Kopf beginnt, mit der Verantwortung für sich selbst.“ Denn Unfälle bei der Arbeit passieren fast immer wegen Unachtsamkeit, Gedankenlosigkeit und daraus resultierendem Fehlverhalten.
Krautschneider macht das an Beispielen klar: „Klassische Unfallursachen sind Telefonieren beim Laufen, in der Eile Schutzbrille und Handschuhe vergessen, einen Gabelstapler übersehen oder eine vereiste Pfütze ignorieren.“ Gemeinsam mit einem externen Berater entwickelte man bei Pirelli deshalb in etlichen Arbeitsgruppen ein Programm, das derartige Erkenntnisse berücksichtigt.
Eindringlicher Film über einen Unfall in England
„Alle 1.700 Schichtarbeiter am Standort und das komplette Management haben in kleinen Gruppen eine umfassende, anschauliche und emotionale Schulung absolviert“, erläutert Krautschneiders Mitarbeiterin Isabell Hartmann, die für die Umsetzung des EiS-Programms verantwortlich ist. Besonders eindringlich: ein kurzer Film über einen Unfall bei einer Firma in England, bei dem ein Arbeiter erblindete, weil er die neben ihm liegende Schutzbrille nicht benutzte.
„Wichtig ist, dass das Thema Arbeitssicherheit nun im Gespräch bleibt“, sagt EiS-Expertin Hartmann. Dabei hilft ein mitten in der Fabrikhalle aufgestellter, wie Eis aussehender Würfel, an den alle Infos und Neuigkeiten zum EiS-Programm gepinnt sind. Auch Erklär-Grafiken und Erfolgsstatistiken finden sich da.
Mitarbeiter sollen so gesund heimgehen, wie sie zur Arbeit gekommen sind
Und was hat sich nun geändert? „Jedes Meeting, jeder Schichtwechsel beginnt heute mit einem kurzen Gespräch über ein aktuelles Sicherheitsthema“, berichtet Hartmann. Wenn jemand nicht sicherheitsbewusst vorgehe, genüge schon ein Blick, und der Kollege korrigiere sein Verhalten.
Das alles ist ganz im Sinn von Michael Wendt, dem Vorsitzenden der Geschäftsführung von Pirelli in Breuberg. Das Motto des Managers lautet: „Wir wollen, dass unsere Mitarbeiter genauso gesund nach Hause gehen, wie sie zur Arbeit gekommen sind.“
Gummibranche mit geringem Unfallrisiko
- Die Betriebe der Kautschuk-Industrie sind bei der Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie (BG RCI) unfallversichert.
- Die Gummi-Industrie zählt zu den sichersten Branchen. Dort gab es in den letzten drei Jahren konstant rund 18 meldepflichtige Arbeitsunfälle je 1.000 Vollarbeiter. In der Bauwirtschaft waren es 55,3.