Kein Zweifel, die Sitten werden rauer, und der Umgangston wird schärfer in Deutschland. Egal, ob in der Schule oder im Straßenverkehr, bei öffentlichen Versammlungen oder im Laufe von Parlamentsdebatten – der Respekt gegenüber Andersdenkenden nimmt ab, die Toleranz gegenüber fremder Herkunft und anderer Prägung ebenso.
Das ist den veränderten politischen Konstellationen geschuldet, in denen zunehmend extremere Positionen aufeinanderprallen. Es hat seine Ursache in dem hohen Tempo, mit dem sich heute dank Netz und „sozialer“ Medien Meinungen bilden, unabhängig davon, ob sie auf Falschmeldungen beruhen oder auf einer validen Faktenlage.
Es hat aber auch zu tun mit der wachsenden Nervosität in einer Wohlstandsgesellschaft, die allmählich begreift, dass wir die Herausforderungen der Globalisierung, Digitalisierung und Demografie nur bewältigen werden, wenn wir zu diesen Themen unsere innere Haltung und die äußeren Rahmenbedingungen ändern.
Unser Wertekanon ist das Fundament unserer Zivilisation und unserer Kultur
Diese Diagnose sollte uns aber nicht schrecken. Wer, wenn nicht wir in Deutschland, hat tiefgreifende Erfahrungen im Umgang mit solchen Umbruchphasen? Mit unserem Grundgesetz wurde ein Wertekanon geschaffen, der dieses Land über Jahrzehnte gut geleitet hat. Im kommenden Mai hat unsere Verfassung 70 Jahre Bestand. Das sollte uns willkommener Anlass sein, um das Grundgesetz nicht nur zu würdigen, sondern seinen Geist mit neuem Leben zu erfüllen.
Gemeinsam abgrenzen
Dazu gehört auch die Tarifpartnerschaft zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften, ohne staatliche Bevormundung und politische Einmischung. Beide Seiten sollten sie nicht nur verteidigen, sondern in ihrem Rahmen auch jenen Umgangston finden und pflegen, den wir andernorts in diesen Wochen und Monaten vermissen. Dazu gehört auch, sich gemeinsam abzugrenzen gegen verbale und reale Brandstifter von rechts und von links. Und das in klarem Tonfall, aber ohne unnötige Schärfe.