Die Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland sind alarmierend, die jüngsten Prognosen niederschmetternd: Von nur 0,1 Prozent Wachstum in diesem Jahr gehen die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute aus, selbst die Bundesregierung rechnet lediglich mit nicht viel höheren 0,3 Prozent. Wir treten also auf der Stelle – und das, nachdem die deutsche Wirtschaftleistung 2023 schon den Rückwärtsgang eingelegt hat: Um 0,3 Prozent ging es nach unten. In Baden-Württemberg waren es sogar 0,6 Prozent!

Für Oliver Barta, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Südwestmetall, sind diese Daten ein lauter „Weckruf an die Politik, jetzt endlich die Wachstumsbremsen zu lösen“. Denn, so Barta: „Deutschland ist im internationalen Wettbewerb schon längst nicht mehr konkurrenzfähig. Seien es die zu hohen Energiepreise, die lähmende Bürokratie, der anhaltende Fachkräftemangel oder enorme Defizite in der Digitalisierung und im Bildungssystem – die Bedingungen für die Unternehmen im Inland sind unattraktiv.“

Fehlende Investitionen im Inland schwächen die Wirtschaft weiter

Tatsächlich wird immer weniger Geld hierzulande investiert – deutsche und auch ausländische Unternehmen bauen neue Werke tendenziell lieber an industriefreundlicheren Standorten auf. Das Fatale daran: Dadurch wird unsere Wirtschaft weiter geschwächt.

Aber was genau muss jetzt passieren, damit mehr Investitionen im Inland angeschoben werden und das Wachstum wieder in Schwung kommt? aktiv zeigt sieben Stellschrauben, an denen gedreht werden kann und muss: von Energiekosten bis hin zu Steuern und Abgaben.

1. Günstige Energie bereitstellen

Schon vor dem akuten Preisschock von 2022 war Energie in Deutschland besonders teuer. Und auch nachdem die extremen Ausschläge wieder zurückgegangen sind, müssen Industriebetriebe hierzulande für Strom etwa doppelt so viel berappen wie in den USA oder China. Dort kostet Industriestrom nur rund 8 Cent pro Kilowattstunde. Zwar wird die Strompreiskompensation vielen Unternehmen helfen, aber die durchschnittlichen Großhandelsstrompreise werden auch mittel- und langfristig nicht mehr günstiger. Die Gründe: höhere Gaspreise, ansteigende Preise für Emissionshandelszertifikate und andauernde Energieknappheit nach Abschalten von konventionellen Kraftwerken.

2. Bürokratie abbauen

Einen Bürokratieabbau fordert die Industrie schon lange – bisher aber weitgehend vergeblich. Statt weniger Gesetze gibt es immer mehr. Mit den großen Zielen wie Klimaschutz oder dem Schutz von Menschenrechten in Zulieferländern sind die Unternehmen prinzipiell einverstanden. Das Problem ist aber: Die Vorgaben für die Umsetzung gehen meist an der Realität vorbei. Vieles ist unnötig, viel zu kompliziert und vor allem für kleinere Betriebe kaum machbar. Der Bürokratie-Wust bringt wenig, frisst aber eine Menge Zeit und Geld. Besserung gibt’s nur sehr schleppend: Das von der Bundesregierung geplante Bürokratieentlastungsgesetz bleibe weit hinter den Erwartungen zurück, kritisiert Tanja Gönner, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Deutschen Industrie

3. Steuern senken

Auf knapp 30 Prozent beläuft sich die Gesamtsteuerlast für Unternehmen hierzulande – satte 10 Prozentpunkte mehr als im EU-Durchschnitt. Drei Viertel der Unternehmen sehen in den hohen Steuern ein Investitionshemmnis. Daher meint die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut: Eine Absenkung auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau von 20 bis 25 Prozent wäre ein zentraler Impuls, um die produktiven Kräfte wieder zu entfesseln.

4. Infrastruktur modernisieren

Seit Jahrzehnten sinken die Investitionen in die Infrastruktur, mit der Zeit sind unzählige Baustellen aufgelaufen: ob bei der Bahn, bei Straßen und Wasserwegen, den Mobilfunknetzen oder der Digitalisierung der Verwaltung. Weil bundesweit rund 4.000 Brücken sanierungsreif sind, fahren Schwerlasttransporte oft Umwege von mehreren Hundert Kilometern. Auch auf der Schiene wird der Güterverkehr dadurch aus­gebremst. Allein der Erhalt und die Sanierung der kommunalen Verkehrswege wird einer aktuellen Schätzung zufolge bis 2030 mehr als 280 Milliarden Euro verschlingen.

5. Arbeitskosten im Rahmen halten

Deutschland ist ein Hochlohnland – das gilt vor allem für die Industrie. In der baden-württembergischen Metall- und Elektro-Industrie verdient man besser als in den meisten anderen Branchen. Zu den Arbeitskosten zählt aber mehr als nur das Bruttogehalt. Für den Arbeitgeber kommt noch einiges drauf: sein Anteil zu den Sozialabgaben, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Benefits wie Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld, vermögenswirksame Leistungen oder Fahrtkostenzuschüsse. 2022 kostete eine Industrie-Arbeitsstunde den Arbeitgeber durchschnittlich 44,00 Euro – weit mehr als der EU-Durchschnitt von 30,50 Euro.

6. Sozialversicherungen reformieren

In kaum einem anderen Land kommt von den gesamten Arbeitskosten, die Unternehmen aufwenden, unterm Strich weniger bei den Beschäftigten an als bei uns. Über 40 Prozent fließen in die Sozialversicherungen. Für den Arbeitnehmer bedeutet das aktuell rund 20 Prozent des Bruttolohns. Ein Zurückfahren der Abgabenquote käme beiden Seiten zugute: Unternehmen könnten mehr Arbeitsplätze schaffen, weil Arbeit wieder günstiger wäre, und Arbeitnehmer hätten mehr Netto vom Brutto.

7. Bildung verbessern

Jedes Jahr verlassen rund 50.000 Jugendliche die Schule ohne Abschluss. Und im internationalen Vergleich schneiden deutsche Schüler vor allem in Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen erschreckend schlecht ab. Gerade Fächer wie Physik und Mathe sind aber für eine Ausbildung in der Industrie besonders wichtig. Ausbildungsfähige junge Leute sind für die Unternehmen unverzichtbar. Denn sie müssen die geburtenstarken Jahrgänge ersetzen, die nun nach und nach in Rente gehen. Damit der Fachkräftenachwuchs gesichert wird, muss der Staat seine Mittel also gezielter für Bildung einsetzen – dringend!

Ursula Wirtz
aktiv-Redakteurin

Als Mitglied der Stuttgarter aktiv-Redaktion berichtet Ursula Wirtz aus den Metall- und Elektrounternehmen in Baden-Württemberg sowie über Konjunktur- und Ratgeberthemen. Sie studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften. Später stieg sie bei einem Fachzeitschriftenverlag für Haustechnik und Metall am Bau in den Journalismus ein. Neben dem Wirtschaftswachstum beobachtet sie am liebsten das Pflanzenwachstum in ihrem Garten.

Alle Beiträge der Autorin