Die Corona-Pandemie hat viele Beschäftige ins Homeoffice verbannt, Konferenzen finden seit einigen Monaten oft per Videoschalte statt. Das spart Zeit, hat aber auch Schattenseiten. „Zoom-Fatigue“ oder auch Zoom-Erschöpfung heißt das Phänomen, das viele Berufstätige plagt – benannt nach Zoom, einem der gängigsten Videokonferenz-Anbieter. Professorin Jutta Rump, Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen, erklärt, was es damit auf sich hat und was dagegen zu tun ist.
Müde am Bildschirm: Was genau ist „Zoom-Fatigue“?
Das ist ein Erschöpfungszustand, der eintritt, wenn man den ganzen Tag und über einen längeren Zeitraum virtuelle Konferenzen hat. Viele Menschen haben täglich mehrere von diesen Veranstaltungen und das seit etlichen Wochen.
Wir beobachten in vielen Fällen von „Zoom-Fatigue“, dass im ersten Stadium eine gewisse Müdigkeit auftritt und im zweiten Stadium eine regelrechte Erschöpfung. Die äußert sich mental, aber auch körperlich.
Welche körperlichen Symptome können bei Menschen auftreten?
Kopfschmerzen etwa, Schlafstörungen, Herz-Kreislauf- oder Magenprobleme. Das sind die ganz typischen Elemente, die man auch bei sonstigen Erschöpfungszuständen beobachtet. Es handelt sich bei Zoom-Fatigue um ein relativ neues Problem, das durch die exzessive Nutzung der neuen Technologien in der Corona-Krise aufgetreten ist.
Was erschöpft die Konferenz-Teilnehmer denn so sehr?
Vor Corona haben wir auch viele Konferenzen gehabt, aber wenn Sie von einer Sitzung zur nächsten laufen, haben Sie dazwischen normalerweise einen Ortswechsel. Sie haben ein bisschen Zeit, in der Sie sich mental von der einen Sitzung verabschieden und sich auf die neue vorbereiten.
Man geht vielleicht noch mal zur Toilette oder holt sich einen Kaffee und hält ein Schwätzchen mit dem Kollegen auf dem Flur. Dann springen wir in das nächste Meeting. Bei einer herkömmlichen Konferenz sind die Teilnehmer mit allen Sinnen dabei, mit den Augen, den Ohren und auch mit dem Tastsinn, wenn sie sich etwa die Hand geben. Es gibt Raum für private Nebengespräche.
Jetzt allerdings sind die Meetings ganz anders strukturiert, sie sind sehr effizient, sachlich, produktiv, oft ohne Pausen dazwischen. Und man beansprucht immer nur einen Teil der Sinnesorgane: das Ohr und ein bisschen das Auge. Man beobachtet die Teilnehmer am Bildschirm und ist sich gleichzeitig bewusst, von jedem permanent beobachtet zu werden.
Dieses ständige Unter-Beobachtung-Sein im Zusammenhang mit dem sehr effizienten Arbeiten und dem eingeschränkten Einsatz der Sinnesorgane ist sehr anstrengend.
Was Ausrichter von Video-Konferenzen tun können: Pausen einbauen, Emotionen zulassen
Sie müssen künstliche Pausen einführen. Zwischen einem Meeting und dem anderen sollte mindestens eine Viertelstunde liegen. Zeit zum Rumlaufen oder zum Kaffeeholen. Zweitens sollte die Länge der Konferenzen begrenzt werden. Eine Dreiviertelstunde ist das, was der Durchschnittsmensch in diesem Setting erträgt.
Wenn die Konferenz doch einmal länger als 45 Minuten dauert, dann bitte nach der Dreiviertelstunde fünf bis zehn Minuten Pause einlegen. Ganz wichtig auch: Der Moderator – der aber nicht gleichzeitig auch der Vortragende sein sollte – sollte ein Gefühl für die menschliche Seite haben. Er sollte jemand sein, der eine Leichtigkeit im Moderieren hat, der auch mal einen Witz erzählt.
Wenn der Teamleiter eher ein nüchterner Typ ist, sollte er darüber nachdenken, ob er jemanden im Team hat, der diese Leichtigkeit als Co-Moderator mitbringt. Der eine kann dann das Inhaltlich-Fachliche übernehmen, der andere die lockere Moderation. Das nimmt diesen ansonsten sehr effizienten Sitzungen die Strenge. So wie im Moment die Video-Konferenzen gehandhabt werden, hat man das Gefühl, zum Roboter zu mutieren.
Das Menschliche wird total vergessen, wir müssen funktionieren, das ist die Erwartung. Eine gute Zoom-Konferenz beginnt damit, dass man mindestens fünf Minuten etwas Persönliches bespricht. Emotionen sollen unbedingt zugelassen werden.
Wie viele Teilnehmer sollte es bei Video-Konferenzen geben?
Eine Sitzung mit 25 Teilnehmern und entsprechend vielen kleinen Bildchen auf dem Monitor ist sicher nicht so gut. Schließlich sollte auch jeder zu Wort kommen können: Nichts ist langweiliger und ermüdender, als die ganze Zeit nur zuhören zu müssen und gleichzeitig unter Beobachtung zu stehen. Andererseits darf auch niemand aus dem Team ausgeschlossen werden.
Es gilt wie überall: bei mehr als acht Personen wird es suboptimal. Wenn das Team also 25 Mitglieder hat, können vielleicht bestimmte Aufgaben an Unterteams delegiert werden, die dann ihre eigenen Meetings organisieren.
Machen nicht auch notorische Vielredner Teilnehmer müde?
Natürlich sollten die Moderatoren die Redebeiträge bei Bedarf unterbrechen dürfen. Allerdings sind Vielredner in Zeiten von Videokonferenzen viel seltener geworden. In herkömmlichen Sitzungen monologisieren Menschen vor allem deshalb, weil sie dort eine Bühne haben. Wenn ein Vielredner das Gefühl hat, er redet einfach gegen die Wand beziehungsweise gegen den Bildschirm, ist dies für ihn nicht mehr interessant.
Wie können „normale“ Teilnehmer einer Videokonferenz gegen Zoom-Fatigue vorgehen?
Mitmachen hält immer wach. Sinnvoll ist es auch, das Thema Zoom-Fatigue grundsätzlich im Unternehmen anzusprechen. Beschäftigte sollten mit den Kollegen darüber nachdenken, was dieses Phänomen für die Struktur des Tages bedeutet und konstruktive Vorschläge erarbeiten. Am Ende sollte eine Art Leitfaden für das ganze Unternehmen entstehen, wonach etwa Meetings generell zur vollen Stunde anfangen und 15 Minuten vor der vollen Stunden aufhören.
Neue Regeln einführen: Ist es okay, wenn die Konferierenden während des Meetings aufstehen?
Sicher. Jeder kann zwischendurch die Kamera auch mal ausmachen. Mittlerweile ist es ja schon üblich, das Mikro auszumachen, wenn die anderen reden, damit die Nebengeräusche nicht stören. Und wenn jemand zehn Minuten ein Impuls-Referat zu einem bestimmten Thema hält, sollte man genauso gut die Kamera ausschalten dürfen, um sich beim Zuhören ein bisschen zu bewegen. Bei einer Diskussion ist es natürlich höflich, die Kamera einzustellen. Diese Regeln sollte man am besten schon im Vorfeld des Meetings festlegen. Darum macht es auch Sinn, wenn sich alle Teilnehmer bereits fünf Minuten vor Beginn einwählen. So wird es für niemanden stressig und alle können ohne Hektik starten.
Welche Rolle spielt Multitasking bei Phänomen der digitalen Ermüdung?
Es ermüdet zusätzlich und kann unhöflich sein, während der Videokonferenz auch noch zu telefonieren oder E-Mails zu beantworten. Die Unternehmen sollten ihren Mitarbeitern zwischen den Konferenzen ausreichend Freiräume lassen, damit sie sich auch um das operative Tagesgeschäft kümmern können.
Auch Familienmitglieder, die während Video-Meetings kurz ins Zimmer kommen, erzeugen Stress. Nur für die anderen Teilnehmer ist das ein auflockernder Aspekt. Aber natürlich haben nicht alle Mitarbeiter zu Hause genug Rückzugsraum für ihre Arbeit, um ganz ungestört zu sein.
Werden Video-Konferenzen in Zukunft zum Alltag im Job gehören?
Absolut, wir werden nicht in die alte Welt zurückkehren. Wir werden stattdessen Mischformen haben. Vielleicht treffen sich künftig einige Mitarbeiter in einem Raum und andere schalten sich zu. Das könnte ein gängiges Modell werden. So entsteht eher das Gefühl, eine richtige Konferenz zu besuchen.