Bremen. Als alter Hase noch mal die Schulbank drücken: Machen unsere kleinen grauen Zellen da überhaupt noch mit? Darüber sprach AKTIV mit Professor Christian Stamov-Roßnagel (49), Organisationspsychologe am Zentrum für lebenlanges Lernen der Jacobs University Bremen.
„Was Hänschen nicht lernt …“ – wie sollten wir das heutzutage ergänzen?
Was Hänschen nicht gelernt hat, das lernt er halt als Hans. Das geht auch noch mit 70.
Woher weiß man das?
Die Neurowissenschaften haben gezeigt, dass bis ins hohe Alter Nervenzellen neu gebildet werden und sich ihre Verdrahtung noch je nach Anforderung ändert – etwa, wenn man ein Instrument erlernt. Diese Plastizität bleibt bei einem gesunden Gehirn lebenslang erhalten.
So weit die biologischen Voraussetzungen. Was weiß man aus der Praxis?
Lernen geht bei Älteren ein bisschen langsamer, vielleicht ist mal ein Durchgang mehr nötig. Aber im Ergebnis hat der Wissenszuwachs praktisch dieselbe Qualität wie bei Jüngeren.
Mit 55 erstmals Englisch lernen – da gibt es also kein Problem?
Moment. Das mit „Mitte 50“ hört man oft – aber das ist überholt: Im betrieblichen Kontext relevante Unterschiede beim Lernen sind erst ab Mitte 60 überhaupt messbar! Wobei auch dann die Lernfähigkeit an sich nicht abnimmt. Es gibt keinen Grund für die Befürchtung, dass man irgendetwas mit Mitte 60 nicht mehr erlernen könnte.
Also auch Vokabeln?
Da geht es um klassisches Auswendiglernen. Ein 15-Jähriger benötigt drei bis vier Durchgänge, bis ein neues Wort richtig sitzt, ein Älterer braucht dafür vielleicht fünf oder sechs Durchgänge. Aber wenn er diesen Mehraufwand bereitwillig in Kauf nimmt, bleibt gleich viel hängen.
Gilt das auch für ungewöhnlichere Fähigkeiten? Was ist zum Beispiel mit Jonglieren?
Kein Problem. So ein ganz neues Können kann erworben werden – das geht etwas langsamer als bei Jüngeren, aber es geht. Und wo vor allem bestehendes Wissen erweitert werden soll, sind Ältere den Jüngeren sogar oft voraus.
Trotzdem ist die Beteiligung von Älteren an Weiterbildungen viel geringer.
Und das ist ein Problem. Es ist nicht gerechtfertigt, wenn sich Ältere vor dem Lernen drücken – aber auch nicht, wenn ihnen Weiterbildung vorenthalten wird. Zumal das Folgen hat: Wenn ältere Mitarbeiter das Vorurteil glauben, dass sie nichts mehr lernen können, dann sackt ihre Lernleistung tatsächlich ab.
Es kommt also auf die Motivation an?
Die ist das Entscheidende. Bei denen, die in Personalabteilungen schon mal „Lernentwöhnte“ heißen, gibt es zwei Gruppen. Die „Arme-Verschränker“, Motto: Hatten wir schon – brauchen wir nicht. Diese hartnäckigen Fälle sind aber nur eine kleine Minderheit. Wesentlich größer ist die Gruppe der „Ja-aber-Sager“. Die sind im Prinzip aufgeschlossen für Neues …
… finden aber erst mal jede Menge Einwände.
Auch, weil gerade alte Hasen oft eine gewisse Lernangst haben. Diese „Ja-aber“-Mechanik kann man aufbrechen, indem man sich positive Lernerfahrungen im privaten Bereich vor Augen führt.
Zum Beispiel?
Da war ein älterer Mitarbeiter, der sich „zu alt“ für eine betriebliche Computerschulung fand. Dabei hatte er gerade seinen Verein als Kassenwart auf Tabellenkalkulation umgestellt! Wenn man sich solche Leistungen nur mal richtig klar macht, kann das den Glauben an die eigene Lernfähigkeit enorm stärken. Und das ist kein Hexenwerk: Jeder, der eine Zugverbindung mit dem Smartphone abrufen kann, hat in der letzten Zeit etwas gelernt.