London/Berlin. Es ist eine wilde Mischung aus Party, Karneval und Mitfiebern, die jetzt bald wieder abgeht im Norden Londons, im „Alexandra Palace“: Vorne werfen zwei Spieler abwechselnd Pfeile auf eine Scheibe aus gepressten Pflanzenfasern. Dahinter jubeln Tausende Zuschauer – viele in allen möglichen bunten Kostümen. Und bei uns bestaunen Millionen das Spektakel im Fernsehen.
Bald ist es so weit, ab dem 15. Dezember treten die 72 besten Darts-Spieler der Welt gegeneinander an, bis Anfang Januar. Der TV-Sender Sport 1 hofft auf einen neuen Spitzenwert: Beim Finale der letzten WM sahen zwei Millionen Menschen zu, das waren etwa doppelt so viele wie noch zwei Jahre zuvor. Damit erreicht die Dart-WM im Spartenkanal ein größeres Publikum als zum Beispiel die Basketball-Bundesliga.
Vor der Glotze begann auch Ben Schwarz, sich für diesen Sport zu interessieren, vor etwa zehn Jahren. Inzwischen ist er ehrenamtlicher Sprecher des Deutschen Dart Verbands in Wiesbaden. Dass das Pfeilewerfen im Trend liegt, bestätigt er gerne: „Wir konnten in den vergangenen drei Jahren 10 Prozent mehr Mitglieder verzeichnen.“ Mehr als 11.000 Organisierte spielen regelmäßig – nicht in der Kneipe zwischen zwei Bieren, sondern beim Training im Verein und bei offiziellen Turnieren.
Besonders gut ist zum Beispiel Dragutin Horvat (40): Der Mann aus Kassel hat sich im November erstmals für die WM qualifiziert – als zweiter deutscher Teilnehmer neben Jungprofi Max Hopp (20), der schon zum wiederholten Mal dabei ist.
Sollte einer von ihnen am Ende der Sieger sein, erhält er ein Preisgeld in Höhe von 350.000 Pfund (umgerechnet rund 410.000 Euro). Wahrscheinlicher ist allerdings, dass die englische Darts-Legende Phil „The Power“ Taylor den Titel holt – oder der Niederländer Michael „Mighty Mike“ van Gerwen.
Für den Zuspruch zur WM weiß Verbandssprecher Schwarz einen einfachen Grund: „Im Dezember ist es kalt und ungemütlich, da hocken sich die Leute eben vor den Fernseher und gucken Darts.“ Statt der Weihnachtswiederholung von „Drei Nüsse für Aschenbrödel“ also mal „Drei Pfeile für die Scheibe“?
Großbritannien gilt als Dart-Mutterland. Beim benötigten Material mischen aber auch Unternehmen aus anderen Ländern mit. Vermutlich das kleinste davon betreibt ein Schwabe: Roland Kühn. Er stellt seit einem Vierteljahrhundert Dartpfeile her. Und auch mit inzwischen 76 Jahren fertigt er sie als gelernter Dreher selbst an der Fräse. „Das ist quasi wie ein Maßanzug“, sagt er, „je nach den Anforderungen der Spieler.“
Zum Darts kam Kühn schon in den 1960er-Jahren, nach Feierabend, in Südafrika. Dort war er damals für Siemens auf Montage, arbeitete im Turbinenbau. Ende der 1980er-Jahre kamen dann auch bei uns Elektronik-Darts-Maschinen in Mode. Mit der Qualität der Pfeile war Kühn aber gar nicht zufrieden – und so fing er an zu werkeln, nach dem Motto: „Das kann ich besser.“
Schließlich gründete er im baden-württembergischen Möglingen eine kleine Manufaktur mit dem Namen Evolution Darttechnologie, um den optimalen Pfeil zu entwickeln. Nichts überließ er dabei dem Zufall, machte sogar Tests im Windkanal! „Sie können nur mit Qualität überzeugen“, betont Kühn.
Seine einzige Mitarbeiterin Bettina Klein ist selbst erfolgreiche Turnierspielerin. Seine Stammkunden sitzen in Deutschland, den Niederlanden, Frankreich, Spanien und Polen. Und England? „Der Markt dort ist in heimischer Hand“, so Kühn, „da kriegen sie als Deutscher kein Bein auf den Boden …“
Übrigens: Wer die Sache mit den drei Pfeilen jetzt einfach mal ausprobieren mag, für den hat Verbandssprecher Schwarz einen leicht zu befolgenden Tipp parat: „Den Pfeil vor das Auge halten, mit dem man zielt.“